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Landeshauptstadt: Ohne die Menschen geht es nicht

Hans-Peter Rheinheimer hat nicht nur Visionen für den Wiederaufbau der Garnisonkirche

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Hans-Peter Rheinheimer hat nicht nur Visionen für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Von Dirk Becker Kurz vor Dresden, der Nachmittagsverkehr auf der Autobahn wird dichter, da wirft Hans-Peter Rheinheimer die Frage ins Auto: „Mal sehen, wer die Frauenkirche zuerst sieht.“ Ein bekanntes Spiel, auf das seine beiden Söhne Philipp (10) und Florian (8) kaum noch reagieren. Denn bis zum Zentrum der Stadt an der Elbe dauert es noch eine Weile. An diesem Dienstagnachmittag ist der 64-jährige Rheinheimer mit seinen Söhnen und seiner Frau Vivian auf dem Weg, die äußere Vollendung eines Gebäudes zu erleben, dessen Entwicklung er seit Jahren mit Leidenschaft verfolgt. 1987 stand er zum ersten Mal vor den Resten der 1945 zerstörten Dresdner Frauenkirche. Wenige Jahre später begannen die Träume einiger belächelter Dresdner Form anzunehmen. Aus dem mahnenden Trümmerstumpf und einem riesigen Schutthaufen schuf sich die Stadt ein Monument, das Versöhnung zu mehr als nur einem Wort machte. Gut 30000 Leute haben sich an diesem Tag vor der wiedererrichteten Frauenkirche versammelt. Im Menschengedränge versucht die Sächsische Posaunenmission sich zu behaupten. Auf der Tribüne singt der Dresdner Kreuzchor, werden kurze Reden gehalten. Am frühen Abend dann hebt sich langsam die kupferne Kuppel mit dem vergoldeten Kreuz hinauf zur eingerüsteten steinernen Glocke. Jeder mag vom Wiederaufbau zerstörter Gebäude halten was er will, aber die Dynamik, die breite Anteilnahme, die hier in Dresden gelebt wird, sie nimmt gefangen. Diese Stadt ist in den vergangenen elf Jahren mit diesem Aufbau, so abgedroschen es auch klingen mag, zusammengewachsen. Davon etwas nach Potsdam mitzunehmen, nur annähernd die Dresdner Dimensionen zu erreichen, das sind Dinge, von denen Rheinheimer zurzeit noch träumt. Seit fünf Jahren lebt der gebürtige Heidelberger in Potsdam. Den Mauerfall nutzte er, um die Stadt an der Havel kennenzulernen. Die Landschaft und die Architektur, die sich hier boten, waren es, die ihn und seine Frau sofort gefangen nahmen. Nach 27 Jahren in Südamerika hatte er endlich die Stadt gefunden, in die er nach Deutschland zurückkehren wollte. Ein Unbekannter blieb Hans-Peter Rheinheimer, der als Kaufmann international tätig ist, nicht lange in Potsdam. Sein öffentliches Engagement, in Venezuela war er am Aufbau eines Zentrums der Humboldtgesellschaft und einer Holzwerkstatt maßgeblich beteiligt, setzte er auch in der Landeshauptstadt fort. Heute ist Rheinheimer Vorstandsvorsitzender des Industrieclubs Potsdam und Initiator der „Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V.“. Ein heikles Thema, das er sich hier, wie Rheinheimer es selbst nennt, zur Lebensaufgabe gemacht hat. Der Wiederaufbau ist ein viel diskutiertes Thema in dieser Stadt. Schon lange verfolgte Rheinheimer die Kontroverse um die im Zweiten Weltkrieg beschädigte und 1968 gesprengte Kirche, bevor er Ende vergangenen Jahres die Initiative ergriff. Zu festgefahren war die Situation zwischen Evangelischer Kirche und der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, wo jede Seite stur auf die eigenen Positionen beharrte und sich nichts mehr bewegte. Bei einer Veranstaltung der Kirchengemeinde meldete er sich zu Wort und sprach 15 Minuten. „Danach diskutierten wir im Industrieclub bis tief in die Nacht. Erstaunlich viele fingen Feuer.“ Im Januar dann mit dem „Ruf aus Potsdam“, der erste Schritt, mit dem die Fördergesellschaft an die Öffentlichkeit trat. Mittlerweile zählt der Verein knapp 200 Mitglieder, die nicht nur den Wiederaufbau des Kirchenturms, sondern des gesamten Gebäudes planen. Langsam verlassen die Menschen den umzäunten Platz vor der Frauenkirche. Rheinheimer wirkt gedankenverloren, sein Blick geht über die zahlreichen Besucher. Man braucht ihn nicht zu fragen, woran er jetzt gerade denkt. Hier zeigt sich überdeutlich, was er auf der Hinfahrt mit dem abgedroschenen Satz „Die Herzen der Menschen gewinnen“ meinte. Zu lange schon sei die Diskussion um die Garnisonkirche an den Menschen dieser Stadt vorbei geführt worden. Und zu stark, so Rheinheimer, werde diese damals schönste Barockkirche Norddeutschlands mit dem Tag von Potsdam in Verbindung gebracht. „Hitlers Auftritt dauerte 45 Minuten und Goebbels selbst hat diesen Auftritt als die ’Potsdamer Rührkomödie’ bezeichnet.“ Die Garnisonkirche sei mehr als nur das. Zwar ist Potsdam nicht Dresden, doch glaubt er, dass mit einem erlebbarem Wiederaufbau wie dort eine stärkere Identifikation der Bürger mit Potsdam erreicht werden kann. Der Förderverein will für alle offen sein. Sichtbar machen, was geschieht. Mit dem bespannten Gerüst an der Breiten Straße, das einen Teil des Turms der Garnisonkirche zeigt, ist ein erster Schritt getan. „Wenn der Aufbau dann beginnt, dann könnten wir die Ziegelsteine für beispielsweise fünf Euro versteigern. So könnte jeder, auch der, der wenig Geld hat, sich in die Kirche einbringen“, stellt Rheinheimer eine von vielen seiner Vorstellungen dar. 50 Millionen Euro sind für den Wiederaufbau geplant. Geld, das der Förderverein von Spendern aus der ganzen Welt zu sammeln erhofft. Freundeskreise in ganz Deutschland, in Polen und den USA gibt es schon. Verhandlungen mit Banken, Fragen der Architektur und Bautechnik, Organisation, wenn Rheinheimer berichtet, wird schnell klar, dass sich hier jemand engagiert, der genau weiß, wie man ein derartiges Projekt anzugehen hat. Viel kann er hier von dem Förderverein der Frauenkirche lernen, dessen Mitglied er seit Anfang der 90er Jahre ist. Doch warum all diese, manchmal so frustrierende, freizeitfressende Arbeit? Rheinheimer lächelt. Er nennt Glauben und Engagement für die Menschen. Und so wie er es sagt, klingt das nach mehr als nur nach leeren Worten. „Vielleicht werden wir uns in drei oder vier Jahren eingestehen müssen, dass wir gescheitert sind“, gibt er sich nachdenklich. „Aber versuchen, das müssen wir.“ Vielleicht aber wird Hans-Peter Rheinheimer irgendwann, dann mit seinen Enkeln, auf dem Weg nach Potsdam sein und die Frage ins Auto werfen: „Mal sehen, wer die Garnisonkirche zuerst sieht“.

Dirk Becker

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