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Homepage: „Ohne Informatik kommt man nicht mehr weit“

Der Professor für Didaktik der Informatik, Andreas Schwill, über Schlüsselkompetenzen zum Umgang mit neuen Technologien, digitale Analphabeten, Nachholbedarf der Schulen und Risiken der Digitalisierung

Stand:

Herr Schwill, die Informationstechnologie verändert sich rasant. Experten aus 25 Ländern fragen zurzeit in Potsdam, welche Kompetenzen es braucht, um immer neue Technologien anzuwenden. Ist das nicht ein aussichtsloses Unterfangen?

Das kann man zwar so sehen. Wenn wir aber die Aufgaben schrittweise bearbeiten, kommen wir auch weiter. Auf der Tagung nun versuchen wir auszuloten, was die gesamte Umstellung von Lehrplänen von Schulen und Universitäten für die notwendigen Kompetenzen bedeutet. Das ist natürlich ein enormer Aufwand. Momentan ist noch nicht bekannt, welche Kompetenzen jeder Einzelne benötigt und wie der Kompetenzerwerb dann auch gemessen werden kann. Das ist noch weitgehend in der Entwicklung. Diese Fragen stellen wir uns jetzt auf der Tagung in Potsdam.

Der Wandel in der IT-Welt ist unaufhaltsam. Reicht es denn, einmal eine Schlüsselkompetenz zu erlernen, mit der man sich dann fortwährend Neuerungen erschließen kann?

Im Prinzip ja, solche benötigten Kompetenzen werden sich zwar immer wieder ändern. Andererseits ist unser Schulsystem aber darauf abgestellt, dass man in der Schulzeit für das ganze Leben grundlegende Kompetenzen erwirbt. So gesehen, müssen wir die grundlegenden Fähigkeiten, die in der Informatik, der Mathematik und ähnlichen Fächern notwendig sind, herausfiltern und geeignet vermitteln.

Sie wollen Kenntnisse und Fähigkeiten ausloten, die Schüler und Studenten für ihr künftiges Leben und den Beruf erwerben müssen, um im digitalen Wandel bestehen zu können. Welche Methoden können das sein?

Eine zentrale Schlüsselkompetenz ist zum Beispiel die Algorithmisierung, also das Denken in Abläufen, das Strukturieren von Abläufen, um gewisse Probleme zu lösen – und diese Abläufe dann hinterher so umzusetzen, dass eine Maschine das Problem selbständig lösen kann. Das ist eine Fähigkeit, die mehr und mehr das Berufsleben durchsetzt. Während früher Akten von einer Stelle zur anderen gewandert sind, muss man nun überlegen, welche Datenflüsse bestehen und wie sie durch IT-Systeme unterstützt werden können. Dazu braucht man sehr gute Modellierungstechniken, um das was früher zum Teil unstrukturiert auf dem Papier stand, systematisch zu erfassen und in einem Informatiksystem umzusetzen, das schneller und einfacher läuft.

Darauf sind viele Schulen doch gar nicht vorbereitet.

Es gibt seit Jahrzehnten die Bemühungen, die Informatik an den Schulen stärker im Pflichtbereich zu verankern. Und wenn wir davon ausgehen, dass Informatik eine Schlüsselkompetenz ist, muss man damit natürlich bereits in der Grundschule anfangen. Ich würde die Informatik auf eine Stufe mit den anderen Naturwissenschaften stellen. Und mit der Mathematik beginnt man auch nicht erst in der siebten Klasse, sondern in der ersten.

Großer Nachholbedarf also?

Auf jeden Fall. In der Sekundarstufe II und zum Teil in der Sekundarstufe I ist Informatik schon relativ gut etabliert, allerdings oft nur als Wahlfach. Wir sind nun der Meinung, dass das Fach langsam bis in die Grundschule sickern müsste. Das machen die Bundesländer unterschiedlich, Sachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben reagiert und die Informatik zum Teil verpflichtend in der Sekundarstufe I vorgesehen. Wenn andere Länder da nicht mitgehen, entstehen Bildungsgefälle. Das Fach müsste so früh wie möglich einen gewissen Pflichtstatus erhalten.

Die Universitäten sind schon weiter.

Hier wurde in den vergangenen Jahren begleitend zur Bachelor-Master-Umstellung der Erwerb von Schlüsselkompetenzen zur Pflicht. In jedem Studium sind dafür Freiräume vorgesehen. Die Studierenden wählen dabei sicher nicht immer Informatik, aber es müsste jedem Studierenden bewusst sein, dass er ohne Informatik nicht weit kommt.

Was ist mit den Schülern und Studenten, die heute noch keine Methoden und Kompetenzen in diesen Fragen vermittelt bekommen. Fallen die später durch den Rost?

Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Schüler dann ein Problem bekommen. Das lässt sich dann aber im Studium noch ausgleichen. Allerdings sind die Schüler heute deutlich technikaffiner. Sie benutzen High-End-Technik und haben gewisse Abläufe schon internalisiert. Sie haben ein Vorstellung davon, wie die Technik funktioniert, zum Beispiel dass es Schnittstellen gibt und wie Daten strukturiert und verarbeitet werden. Viele interne Abläufe oder Sicherheitsaspekte überschauen sie natürlich noch nicht. Die Bedienfertigkeit und ein gewisses Gefühl für die dahinter stehenden Prozesse sind aber bereits vorhanden. So erfordert schon das Dateisystem der Geräte ein gewisses hierarchisches Denken. Eine solche rekursive Denkweise ist bereits hochinformatisch. Das kann man auch als Aufhänger nutzen, um Kinder an Strukturen der Informatik heranzuführen. Sie werden dann nach und nach so stark verinnerlicht, dass man sie nicht mehr explizit vermitteln muss. Das ist ein Vorteil.

Und was ist mit den Menschen, die bereits im Job stehen?

Hier können Fortbildungen helfen. Oft ist zu beobachten, dass es noch keinen verständigen Umgang mit den digitalen Systemen gibt, dass die Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten noch gar nicht voll ausgeschöpft wird. Die neue Generation wird aber ein deutlicheres Gespür dafür haben.

Was kann jeder selbst machen?

Einfach am Ball bleiben, sich informieren, sich neuen Entwicklungen nicht verschließen. Und natürlich sich der Chancen und Risiken bewusst sein.

Werden die Risiken im Umfeld der Digitalisierung unterschätzt?

Hier hat gerade die NSA-Affäre die Möglichkeit geschaffen, sich genauer darüber zu informieren. Vielleicht ist nun auch stärker bewusst geworden, dass die Snowden-Affäre und ihre Hintergründe und Konsequenzen sich nur verstehen lassen, wenn man die zugrunde liegende Informatik versteht. Man liest zwar viel über gestohlene und abgehörte Daten, aber wie man sich schützen kann, das erfordert doch schon ein relativ hohes Verständnis der informatischen Hintergründe. Das hat uns als Ausbilder nun ein wenig in die Hände gespielt: nun wird deutlich, wie wichtig Kompetenzen in der Informatik für alle sind.

Die Risiken liegen ja auch in der Sicherung von Passwörtern und persönlichen Daten. Hier fehlt doch den meisten Menschen der Überblick.

Aber genau den muss man sich erwerben, oder er muss Teil der Schulbildung sein.

Das ist verdammt schwer

Man sollte keine Panik aufkommen lassen. Viele Risiken, zum Beispiel im Online-Banking, werden überschätzt. Die Verfahren sind mittlerweile sehr sicher, vor allem wenn man vergleicht, wie einfach eine Unterschrift zu fälschen ist. So gesehen war es mit einem gefälschten Überweisungsträger früher viel einfacher an Geld zu kommen, als es heute mit komplizierten Spähprogrammen der Fall ist.

Zeichnet sich nicht auch eine gewisse Spaltung in der Gesellschaft ab, zwischen denen, die mitgehen können und wollen, und denjenigen, die zurückbleiben?

Ja, durchaus. Es gibt ja bereits viele Dinge, die ohne technisches Verständnis kaum noch zu bekommen sind, etwa eine Bahnfahrkarte. Der Automat fragt rund zehn Entscheidungen ab, die innere Logik muss man beherrschen. Wer das, aus welchen Gründen auch immer, nicht leisten kann, hat ein Problem und zahlt am Schalter einen Aufpreis. Früher sprach man in der Informatik von Computer-Alphabetisierung. Wer heute nicht schreiben, lesen und rechnen kann, auf den nimmt keiner mehr Rücksicht. Ähnliches zeichnet sich im digitalen Bereich ab. Wem dort gewisse Kenntnisse fehlen, der kann am Leben nicht mehr teilhaben.

Entsteht also eine Schicht von digitalen Analphabeten?

Die Gefahr besteht für die ältere Generation, weniger für die folgende Generation, die mit der Technisierung aufwächst. Aber man kann heute in vielen Lebensbereichen gerade ältere Menschen beobachten, die Probleme mit der Technik haben und denen der Zugang zur digitalen Sphäre fehlt. Das wird noch nicht genügend beachtet.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Die Tagung zu Schlüsselkompetenzen in der Informatik findet noch bis 4. Juli (14 Uhr) am Campus Griebnitzsee, August-Bebel-Straße 89, Haus 6, statt.

Andreas Schwill (55) ist Professor für Didaktik der Informatik an der Universität Potsdam. Die aktuelle Uni-Tagung zu Schlüsselkompetenzen in der Informatik hat er mit organisiert.

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