ZUR PERSON: „Ohne Leidenschaft geht es nicht“
Frauke Maria Roth über Stars, Musik mit Kindern und die Vorreiterrolle der Kammerakademie
Stand:
Mit Rossinis „La scala di seta“ hat die dritte Potsdamer Winteroper erfolgreich Premiere gefeiert. Die übrigen Vorstellungen waren ausverkauft. Sie können zufrieden sein.
Allein schon so unterschiedliche Akteure aus Wirtschaft, Tourismus, Verwaltung mit dem Hans Otto Theater und der Kammerakademie Potsdam für das Projekt Winteroper in einer haushalterisch und finanziell schwierigen Lage zusammenzubringen, ist ein Riesenerfolg.
Haushalterisch und finanziell schwierige Lage – damit sprechen Sie die Probleme mit der öffentlichen Förderung an.
Es gibt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt und dem Ministerium. Und wir hoffen, dass die für eine solche Oper notwendigen Grundlagen für eine langfristige Planungssicherheit geschaffen werden. Da gibt es schon Gespräche bezüglich der Hauptstadtmittel und Gespräche mit dem Ministerium.
Trotzdem hat es auch in diesem Jahr wieder erhebliche Schwierigkeiten gegeben, konnten Verträge mit den Künstlern nicht unterschrieben werden, weil die Gelder fehlten.
Es fehlen die verbindlichen, so genannten Zuwendungsbescheide. Ohne diese kann ich als Geschäftsführerin der Kammerakademie oder Volkmar Raback als geschäftsführender Direktor des Hans Otto Theaters keine Verträge unterschreiben. Die Kammerakademie ist ein gemeinnütziger eingetragener Verein und wenn ich Verträge unterzeichne, die nicht gedeckt sind und somit Schulden mache, kann ich den Verein so ganz schnell in die Insolvenz treiben.
Warum tun Sie sich dann Jahr für Jahr wieder die Mühen und Wagnisse eines solchen Projekts an?
Wenn man ganz viel Geld verdienen will, sollte man nicht in der Kulturbranche arbeiten. Da gibt es vielleicht in Salzburg oder Innsbruck noch Oasen, wo das Geld keine Rolle spielt. Aber hier arbeiten Leute, die den Job machen, weil sie eine Leidenschaft dafür haben, weil sie dafür brennen. Die Winteroper hat einen Namen und ist mittlerweile überregional bekannt. Gleichwohl gibt es Schmerzgrenzen. Doch bisher überwog immer der Glauben, an der Winteroper festhalten zu müssen.
Also ist Leidenschaft der Hauptantrieb für die Arbeit in der Kammerakademie Potsdam?
Ja. Wenn nicht die Begeisterung und Leidenschaft bei den Künstlern und bei allen Mitarbeitern hinter allem stünde, dann würde das so nicht funktionieren.
Ausverkaufte Winteroper, mit Michael Sanderling und Andrea Marcon zwei künstlerische Leiter und erst kürzlich eine Tournee mit Jungstars der Szene wie Julia Fischer, Daniel Müller-Schott und Martin Helmchen. Würde Sie die Entwicklung der Kammerakademie als Erfolgsgeschichte bezeichnen?
Ja, künstlerisch ist das eine Erfolgsgeschichte. Die Kammerakademie, mit ihrer wunderbaren Arbeitsstätte hier in Potsdam im Nikolaisaal, hat sich so entwickelt, wie ich glaube, fast niemand erwartet hatte. Wir haben jetzt die erste Platte für Sony produziert, die zweite ist in Planung. Wir haben mit vielen internationalen Stars zusammengearbeitet, die gern mit uns spielen und das natürlich auch zu anderen Konditionen als wenn sie mit einem großen städtischen oder staatlichen Orchester auftreten würden. Hinzu kommt eine Art Verwurzelung, die in Potsdam stattgefunden hat, die sehr stark auch mit dem hiesigen Publikum zu tun hat. Das ist die Erfolgsseite.
Und die andere Seite?
Die andere, weniger erfolgreiche Seite besteht darin, dass wir ein Orchester in freier Trägerschaft sind, von unseren Musikern Höchstleistungen erwarten und bekommen, wir sie aber nicht danach bezahlen können. An dieser Stelle muss sich was tun. Wir haben keinerlei Absicherungen. Wenn einer unserer Musiker mit dem Fahrrad stürzt und sich einen Arm bricht, bekommt er ab diesem Tag kein Honorar mehr. Aber wenn man von qualifizierten Künstlern einen starke Anbindung an das Orchester und Leistungsbereitschaft erwartet, im Gegenzug aber nur sehr wenig anbieten kann, ist das zumindest ein Spagat. Und ich hoffe, dass hier bald eine Lösung für das Orchester gefunden wird.
Um diese nötigen Sicherheiten für die Musiker zu garantieren, sollte die Kammerakademie zu einem städtischen Orchester werden?
Sicherlich nicht. Diese Rückführung wird es nicht mehr geben. Aber im Rahmen der freien Trägerschaft muss noch weiter gedacht werden, als es bisher der Fall ist.
Wie sieht die Finanzierung der Kammerakademie aus?
Es gibt mehrjährige Zuwendungsvereinbarungen mit der Stadt, das ist die Grundfinanzierung. Die aktuelle Zuwendungsphase geht von 2007 bis 2009. Da erhalten wir eine jährliche institutionelle Förderung in Höhe von 730 000 Euro. An diese Förderung ist ein Katalog von Forderungen geknüpft. Daneben gibt es einzelne Projekte, beispielsweise im Kinder- und Jugendbereich, für die wir Projektförderung von unterschiedlichen Ministerien bekommen. Hinzu kommen die Ticketerlöse, Spenden und Sponsoring, nicht zuletzt auch über unseren Freundeskreis. Und dann gibt es natürlich immer wieder die Versuche, für spezielle Projekte gesonderte Mittel zu beantragen.
Wie wichtig sind bei zurückgehender und auch stagnierender öffentlicher Förderung Spenden geworden?
Sehr wichtig. Denn viele Projekte wie beispielsweise die Winteroper sind über die Grundförderung nicht zu realisieren. Aber als Allheilmittel kann das Engagement von Privaten in der Kultur nicht dienen.
Potsdams Kulturverwaltung plant, die Projektförderung ab 2008 zu verdreifachen, also von derzeit 116 000 Euro im Jahr um 232 000 Euro auf 348 000 Euro. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Das habe ich natürlich mit Interesse verfolgt. Ich hoffe, dass dadurch vor allem auch im Bereich der neuen und experimentellen Musik Akzente gesetzt werden können, die in Potsdam bisher etwas untergehen. Auch dazu gibt es bereits Gespräche.
Obwohl die Kammerakademie Potsdam bei Konzerten mit dem Programmpunkt „unerhört?gehört!“ hier schon selbst Akzente setzt.
Wir bringen immer wieder Uraufführungen und Werke, die in Potsdam noch nicht gespielt wurden. Aber das muss natürlich geschickt in das übrige Programm eingebaut werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Kammerakademie ist, wie Sie es schon angesprochen haben, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Ist dieses Engagement bedingt durch die Auflagen der institutionellen Förderung oder auch in der Leidenschaft der Musiker begründet?
Natürlich ist die musikalische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen derzeit in aller Munde. Das wird überall diskutiert und die Wichtigkeit erkannt. Es wird gesehen, dass in den Schulen die Möglichkeiten fehlen, dies umzusetzen und es ist auch keine Neuigkeit, dass das Konzertpublikum immer älter wird. Die Initiative für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kam bei uns von den Musikern.
Und wie sieht diese Arbeit aus?
Da spielt die Interaktivität eine sehr große Rolle. Die Schüler sitzen beispielsweise bei „Proben mit Profis“ oder bei Generalproben nicht im Saal sondern auf bunten Kissen zwischen den Musikern auf der Bühne. Da fährt die Musik direkt in den Körper. Wir bitten dann die Jugendlichen nach ihrem Besuch um Kritiken, die fast immer so geschrieben sind, dass sie am Anfang erst sehr skeptisch waren und am Ende ganz begeistert nach Hause gehen. Diese Arbeit macht Sinn. Und da wünschen wir uns natürlich, dass diese Aktivitäten deutlich ausgeweitet werden. Wir haben die Flexibilität und das Können der Künstler. Darüber hinaus realisiert die Kammerakademie unter dem Titel „Schüler in den Konzertsaal“ auch Projekte an Schulen im Land Brandenburg. Die Kammerakademie wird damit ihrer Verantwort für die musikalische Bildung auch über die Landeshauptstadt hinaus gerecht und erreicht Kinder und Jugendliche, die zumeist kaum Kontakt zu „Live-Musik“ haben.
Bei dem vielfältigen Engagement der Musiker und Mitarbeiter der Kammerakademie und der im Vergleich dazu geringen Bezahlung entsteht der Eindruck, dass man in diesem Beruf vor allem eines sein muss: Lebenskünstler. Besteht dabei nicht die Gefahr von vorzeitigem Verschleiß?
Das muss man gut balancieren. Natürlich ist die Anzahl der an den unterschiedlichen Projekten beteiligten Musiker verschieden, dadurch ist eine gewisse Flexibilität gegeben. Da versuchen wir schon zu reagieren. Trotzdem müssen wir, damit unsere Musiker ein familiäres Auskommen haben, eine hohe Beschäftigungsdichte schaffen und dadurch natürlich allen sehr viel abverlangen.
Müssen die Musiker noch nebenbei arbeiten, beispielsweise Unterricht geben?
Ja klar, wobei man sagen muss, dass es von den Musikern dann auch gewollt ist, zu unterrichten und auch in anderen Formationen zu konzertieren.
Gibt es trotz der musikalischen Erfolgsgeschichte der Kammerakademie noch Entwicklungspotenzial?
Ja, die Vielseitigkeit des Orchesters, die der frühere künstlerische Leiter Sergio Azzolino mit seiner Zweigleisigkeit angeschoben hat, weiterzuführen. Auf der einen Seite die historische Aufführungspraxis, dieses Repertoire weiter zu profilieren bis hin zu den historischen Instrumenten und gleichzeitig in der Lage zu sein, eine Tschaikowsky-Serenade, ein modernes Stück oder, wie gerade geschehen, die Kammersinfonien von Schostakowitsch für Sony auf Platte einzuspielen. Das ist etwas, das ich für sehr zukunftsfähig halte. Die Spezialensembles, die nur moderne Musik oder Barockmusik machen, haben ihre ganz große Berechtigung. Ich sehe aber eine Tendenz, dass diese Spieltechnik, die unterschiedlichen Interpretationsarten langsam überall Einzug halten.
Bei Orchestern spricht man oft von einem Profil. Ist das Profil der Kammerakademie also ihre Vielseitigkeit?
Ja, die Vielseitigkeit ist ein ganz großes Thema und die Kammerakademie Potsdam ist da mit Sicherheit einer der Vorreiter.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Frauke Maria Roth ist seit April 2001 Geschäftsführerin beim Trägerverein der Kammerakademie Potsdam e.V.
Geboren in Hamburg,
studierte sie von 1986 bis 1990 an der Musikhochschule Freiburg im Breisgau mit Hauptfach Querflöte. An ihre Diplomprüfung zur Musiklehrerin schloss sie ein zweijähriges Ergänzungsstudium zur Orchestermusikerin an.
Nach einem Studienaufenthalt in England spielte Frauke Maria Roth von 1994 bis 1997 Solopiccolo in der Norddeutschen Philharmonie Rostock und von 1997 bis 2000
zweite Flöte in der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.
Im Oktober 1998 wurde sie Orchestermanagerin beim Ensemble Oriol Berlin e.V.
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