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Sport: Olympia-Boote mit Fragezeichen

Die beiden Potsdamer Ruderinnen Stephanie Schiller und Daniela Schultze wurden am Samstag daheim feierlich, aber ohne große Jubelstimmung Richtung London verabschiedet

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Mit Stephanie Schiller und Daniela Schultze hat der Ruder-Club Potsdam zwei Sportlerinnen in der deutschen Olympia-Flotte 2012 dabei – doch richtige Jubelstimmung wollte am Samstag nicht aufkommen, als der Klub die beiden jungen Frauen im Potsdamer Seminaris Seehotel feierlich Richtung London verabschiedete. „Schade, dass es nur zwei sind, wir hatten mit mehr gehofft“, räumte RC-Präsidentin Kathrin Boron ein. „Aber so ist der Leistungssport, und in einem Olympiajahr ist das besonders hart.“ Zum einen gelang es in diesem Jahr nicht, auch einen Mann in den Olympia- Kader zu bekommen, zum anderen gab es aus Potsdamer Sicht Ungereimtheiten im Vorfeld der Olympia-Nominierung durch den Deutschen Ruderverband (DRV). Mit dem Ergebnis, dass sowohl Schiller im Doppelzweier als auch Schultze im Achter – die ab dem heutigen Montag in Ratzeburg die letzten Trainingseinheiten absolvieren werden – nicht gerade als Medaillenfavoritinnen an den Dorney Lake reisen.

Stephanie Schiller rudert den Doppelzweier zusammen mit der Berlinerin Tina Manker vom Ruderklub am Wannsee, die am Samstag gemeinsam mit ihr in Potsdam verabschiedet wurde. Bei den beiden ersten Weltcups dieser Saison in Belgrad und Luzern waren die beiden noch im Doppelvierer zusammen mit Carina Bär aus Heilbronn sowie Lisa Schmidla (Crefelder RC) beziehungsweise Julia Richter (RK am Wannsee) jeweils Zweite hinter der Ukraine geworden. Dann stiegen mit Annekatrin Thiele aus Leipzig und Britta Oppelt von Hellas Titania Berlin die beiden stärksten Einer-Skullerinnen dieser Saison nach den Plätzen zwei und drei aus dem Zweier lieber in das Frauen-Paradeboot um. Manker und Schiller – 2011 gemeinsam Weltmeister im Doppelvierer – tauschten als die Nummern fünf und sechs der nationalen Rangliste Mitte Juni mit ihnen die Rollsitze – und waren natürlich enttäuscht.

„Unser Vierer lief gut, schneller war der neue zuletzt in München auch nicht“, sagt Schlagfrau Stephanie Schiller, die beim Weltcup in München mit Manker im Doppelzweier Siebte wurde. Sie setzten sich dabei im internen deutschen Duell gegen Julia Lier (Böllberg)/Lisa Schmidla durch und buchten so das Olympia-Ticket. „Die Entscheidung des DRV, die vier schnellsten Einerfahrerinnen in den Doppelvierer zu setzen, ist erst einmal richtig“, so die Potsdamerin. „Vielleicht hätte man das aber auch schon beim ersten Weltcup testen können. Jetzt haben wir nur wenig Zeit, um den Doppelzweier schnell zu machen.“ Gleichwohl nähmen sie und Manker die neue Herausforderung an. „Nun wollen wir halt hier unser Bestes geben“, so Schiller. „Erstmal ins Finale kommen – dann ist manches möglich.“

Für den Achter, in dem Daniela Schultze vom RCP ganz vorn im Bug das Ruder rechts durchs Wasser zieht, wäre schon der Einzug ins A-Finale ein Erfolg. Die Crew um Steuerfrau Laura Schwensen aus Kappel wurde in diesem Jahr neu zusammengesucht. Außer Schultze sitzten auch Kathrin Marchand (Leverkusen) und Julia Lepke (Rostock) erstmals im Frauen-Achter, Nadja Drygalla (Rostock), Constanze Siering und Ronja Schütte (beide Dortmund) brachten einjährige Erfahrungen mit ins Olympia-Boot, das sich vor dem Weltcup in Luzern auf dem Rotsee für London qualifizierte. „Langsam habe ich realisiert, dass ich dabei bin“, meint Daniela Schultze, die erst im Winter gemeinsam mit ihrer Potsdamer Klubkollegin Juliane Domscheit von den Skullerinnen zum Riemenrudern wechselte. „Aber ich wundere mich, dass ich es geschafft habe, denn meine physischen Leistungen sind nicht sehr hoch. Jules sind viel besser.“ Domscheit habe es in der Vorbereitung des Achters auf die Olympia-Qualifikation auf die besten Kraftwerte aller Achter-Kandidatinnen gebracht – trotzdem wurde die 23-Jährige Anfang Mai aussortiert, ohne Gründe dafür zu erfahren.

„Ich wurde noch nie so verarscht“, sagt Juliane Domscheit rückblickend dazu. Und Daniela Schultze bekennt: „Ich kann die Beweggründe der Trainer dafür bis heute nicht nachvollziehen. Ich bin sehr traurig darüber, denn wir beide sind seit unserem Wechsel zum Riemen gemeinsam durch viele Höhen und Tiefen gegangen, daraus entwickelte sich auch eine Freundschaft. Ich vermisse es schon, mit Jule zusammen zu rudern, und glaube, sie hätte uns im Achter helfen können.“ Nun kämpft die 21-Jährige, die daheim am Seekrug ebenso wie Stephanie Schiller bei Steffen Becker trainiert, darum, mit dem Achter „Schadensbegrenzung zu schaffen, denn unser Abstand zur Weltspitze ist schon noch groß“, so Daniela Schultze. „Es ist schön für mich dabeizusein, und ich freu mich schon tierisch darauf. Was jetzt kommt, ist alles Zugabe.“

Niemand weiß derzeit, was mit dem Ruder-Bundesstützpunkt Potsdam/Berlin am Potsdamer Seekrug geschieht, sollten Schiller und Schultze ohne Olympiamedaillen aus London heimkommen. „Für mich ist und bleibt der Bundesstützpunkt unbestritten, die Gefahr seiner Abwicklung sehe ich nicht“, sagt Herwig Ritter. Der 68-Jährige aus dem Schkopauer Ortsteil Burgliebenau, in den 60er Jahren mal DDR-Meisterschafts-Dritter im Doppelzweier, ist kommissarischer Leiter des Bundesstützpunktes und erklärt: „Dieses System hier in Potsdam mit Sportschule und hauptamtlichem Trainer ist einmalig und es kann nicht sein, dass wir hier keine besseren Leistungen erreichen.“

Ritter fordert langfristige Aufbauarbeit in den einzelnen Bereichen – in Potsdam ebenso wie beim Deutschen Ruderverband. „Der DRV beginnt jetzt zu zweifeln. Er hat selbst kein sichtbares Konzept“, so Ritter. „Sich nur auf den Deutschlandachter und ein weiteres Boot zu konzentrieren, ist falsch. Ein Olympiazyklus geht über vier Jahre, und in dieser Zeit hätte man beispielsweise auch schon einen Doppelzweier entwickeln können. Der Deutschland-Achter der Männer hat vier Jahre Zeit, um sich richtig zu finden. Dafür werden aber andere Bootsklassen vernachlässigt.“ Man müsse hinterfragen, warum es im Achter der Frauen den derzeitigen Zustand gebe. „Das liegt am System“, glaubt Herwig Ritter. „Diese Achter-Zusammensetzung kann niemand erklären. Auch nicht, warum Juliane Domscheit, die am meisten gezeigt hat, nicht berücksichtigt wird.“

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