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Landeshauptstadt: Oma Courage greift ein

87 Jahre und kein bisschen müde

Stand:

87 Jahre und kein bisschen müde Ja, also, ich muss gestehen, ich habe an einer nicht angemeldeten Demo teilgenommen. Die fand am 31. 10. 2004 auf der Langen Brücke statt, 12 Uhr mittags – für die, die nicht da waren. Erst habe ich ein wenig mit den linken Demonstranten geplaudert, doch da waren so grüne Marsmenschen, die haben mich daran gehindert. Denen musste ich ein paar deutliche Worte sagen, denn sie haben einige Demonstranten hart angefasst. Na gut, da waren ein paar Hitzköpfe darunter, ist doch klar, wo herrscht schon eitel Sonnenschein, wenn es um Grundfragen der Zukunft geht, nicht wahr? Dann wollte ich über die Brücke geradewegs zu den Nazis, die da aus dem Hauptbahnhof (beinahe hätte ich gesagt, aus ihren Rattenlöchern) kamen, aber die vermummten grünen Menschen ließen mich einfach nicht durch. Na, den habe ich vielleicht was erzählt, denn ich bin 87 und hab schon das Jahr 1933 miterlebt. Wo sind die Nazis, habe ich den Oberkommandierenden gefragt, ich will ihnen meinen Regenschirm über die Glatze ziehen, bevor ich ins Gras beiße. Nichts, kein Echo, top secret, wie das heißt. Er hatte auch so eine Glasscheibe vorm Gesicht, da musste ich ganz schön kneistern mit meinen alten Augen, um eine Reaktion zu erkennen. Jungchen, sage ich, ehe die Neonazis ein neues Euthanasieprogramm beschließen, müssen sie jetzt eins über die Rübe kriegen, nachher ist es zu spät. Verstehste das, Oberpostdirektor? Wieder keine Antwort, wahrscheinlich mit dem falschen Dienstgrad angeredet, ich kenn mich da nicht so aus. Ich, Lisbeth Charlotte Koralle, das „von“ können wir hier ja mal weglassen, befand mich in der Hauptkampfzone, und derweil redet mein Lebenspartner, der Ernst Kabaulke, auf ein paar bunte Vögel ein, die partout einen Bauzaun auf die Straße legen wollten. Typisch Mann: Während ich mit der Staatsmacht diskutiere, beschäftigt er sich mit Nebensächlichkeiten. Neben mir weinte ein Mädchen, vielleicht 10, 11 Jahre alt, mit ''nem Fahrrad wie aus der Mottenkiste, aber ein liebes Ding durch und durch, das sah man schon an den Augen. Sie wollte nach Hause Mittag essen und mit dem ganzen Scheiß (ich weiß, sagt man nicht) nichts zu tun haben. Mit der Kleinen bin ich dann durch und konnte die Nazis mit meinem Regenschirm doch noch nach Babelsberg treiben helfen. Sorry, eine andere Möglichkeit gab es nicht, aber ihr Nowaweser seid mit Nazis ja schon immer besser fertig geworden als die Potsdamer. Wo wart ihr eigentlich, ihr Potsdamer Bürger? Habt euch weitab am Stadthaus getroffen, höre ich. Da war nichts los, nichts als schöne Worte. Ihr müsst da hingehen, wo es weh tut, würde unser Ede Geyer sagen. Sonst kommt eines Tages doch wieder eine braune Regierung, und einige von euch würden an ihrem Stammtisch sitzen. Könnte doch sein, nicht wahr? Und das würde mich ankotzen. Lisbeth Charlotte von Koralle, eine alte Potsdamerin

Lisbeth Charlotte von Koralle, eine alte Potsdamerin

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