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Aus dem GERICHTSSAAL: Opfer von Zivilcourage

Er wollte einem älteren Herrn helfen und wurde von drei Angetrunkenen in der S-Bahn brutal zusammengeschlagen

Stand:

Aus Angst vor Rache wollte der Mann seinen Namen während der öffentlichen Verhandlung nicht nennen. Am Spätnachmittag des 1. Mai 2009 war er in der S-Bahn zwischen den Stationen Grunewald und Nikolassee von drei Angreifern mit Fäusten traktiert und zusammengetreten worden – und das nur, weil er einem älteren Herrn helfen wollte. Der wurde von den Angetrunkenen angepöbelt und geschubst, verließ den Wagen beim nächsten Halt. Der Mann mit Zivilcourage – er trat im Prozess vor dem Jugendschöffengericht gestern als Nebenkläger auf – erlitt durch die Misshandlung eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen und Hämatome an Kopf und Oberkörper. Die Verletzungen sind verheilt. Geblieben sind „massive Probleme, S-Bahn zu fahren, besonders abends und in den Nachtstunden“, erzählte er.

Zwei der Gewalttäter sind bereits verurteilt. Sie sitzen – auch wegen weiterer Straftaten – im Gefängnis. Weil ihm sein Bewährungshelfer bescheinigte, auf einem guten Weg zu sein, kam Marcel M.* (21) mit einem blauen Auge davon. Der Arbeitslose wurde wegen gefährlicher Körperverletzung mit einer Jugendstrafe von zwei Jahren – ausgesetzt zu dreijähriger Bewährung – sanktioniert. In dieses Urteil wurde eine im Juli gegen ihn verhängte Strafe wegen mehrfachen Verwendens von Nazisymbolen, Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr einbezogen. Laut Anklage sollen Marcel M. und seine Komplizen aus Frust darüber, dass ihnen am Tattag die Teilnahme an einer NPD-Kundgebung in Berlin-Kreuzberg von der Polizei verweigert wurde, auf der Rückfahrt nach Potsdam ausgerastet sein. Marcel M. soll zudem den Rucksack des Nebenklägers sowie das Vorderrad seines Fahrrades aus dem fahrenden Zug geworfen haben. Und er soll ihm gedroht haben, ihn „in den Rinnstein zu treten, wenn er ihn noch einmal erwischen würde“. Marcel M. schob alle Schuld auf seine Kumpels. Er sei mit Getränketüten und bei Burger King gekauftem Essen beschäftigt gewesen, habe den Angriff nur aus der Ferne beobachtet. Er wurde allerdings durch das Opfer und einen der Mittäter belastet. „Alle drei haben wir den Mann im Eifer des Gefechts zusammengehauen“, räumte der derzeit in der Vollzugsanstalt Wriezen sitzende Daniel D.* (21) ein. Marcel M. habe auch gegen Kopf und Körper des Nebenklägers getreten – im Gegensatz zu ihm allerdings nicht mit Springerstiefeln, sondern mit Turnschuhen.

Marcel M. – Neunte-Klasse-Abgänger ohne Berufsausbildung – wurde danach von einem Psychologen begutachtet. Der attestierte ihm Hyperaktivität, einen Hang zu abenteuerlichem Handeln sowie fehlende Lebensplanung. In Verbindung mit Alkohol reagiere der Angeklagte aggressiv. Cannabis, das er damals konsumierte, wirke beruhigend. „Jeder kann erwarten, dass in so einem Fall jemand einschreitet“, betonte Nebenkläger-Vertreter Bodo Zielonka. „Dann beweist ein Bürger Zivilcourage, und wird brutal zusammengeschlagen. Die Tat war auch ein Angriff auf die Gemeinschaft.“ Da der Angeklagte aus seiner Sicht weder Einsicht noch Reue zeige, verzichtete der Rechtsanwalt darauf, einen Strafantrag zu stellen, der noch Bewährung zulässt.

Marcel M. – nach Ansicht des Gerichts während der Tat vermindert schuldfähig – erhielt u. a. die Bewährungsauflage, 150 Sozialstunden zu leisten, ein Anti-Aggressionstraining zu absolvieren und sozialtherapeutische Beratung in Anspruch zu nehmen. Gemeinsam mit den zwei Mittätern muss er 2000 Euro an das Opfer zahlen. (*Namen geändert.) Hoga

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