Landeshauptstadt: Optische Koalition
Fünf Spitzenkandidaten mit fünf Programmen beim Wahl-Talk auf der Bühne des Kabaretts Obelisk
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Fünf Spitzenkandidaten mit fünf Programmen beim Wahl-Talk auf der Bühne des Kabaretts Obelisk Von Jan Brunzlow Unschuldige sitzen allabendlich einvernehmlich neben Trickbetrügern aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Umrahmt von schmutzigen Pianoklängen und im Beisein von Kommissar Koschuweit, der sich eine verdächtig weiße Pulverspur reinzieht, lüftet sich ein Tuch und vier Graupapageien krächzen eine Nachricht heraus: „Schönbohm ist weg“. Die politische Satire des Potsdamer Kabarett Obelisk fand am Montagabend jedoch nicht statt, denn die zwangsproletarisierten Protagonisten wurden beim einstündigen Wahl-Talk von Potsdam TV und PNN gegen Politiker ausgetauscht. Die fünf Direktkandidaten des Potsdamer Wahlkreises lieferten sich im einzigen gemeinsamen Auftritt des momentanen Bundestagswahlkampfes einen teilweise inszenierten Rundumschlag durch Wahlprogramme – mit einer besonderen Koalition. Wenn auch nur optisch, nicht inhaltlich. Eine bei den Bundesparteien undenkbare Variante künftiger Koalitionäre präsentierte sich auf der Bühne des Kabaretts. Während der ohne Listenplatz antretende Rolf Kutzmutz (Linkspartei. PDS) ganz links und die als „inzwischen auch verheiratet“ angekündigte Katherina Reiche (CDU) ganz rechts saßen, bildeten der wegen seiner Putzfrauen-Affäre ins Gespräch gekommene Joachim Gessinger (Bündnisgrüne), Wahlkreis-Titelverteidigerin Andrea Wicklein (SPD) und der Ex-Staatssekretär in der Kohl-Regierung Heinz Lanfermann (FPD) eine Allianz zwischen dem Moderatorenduo Lars Lanske (Potsdam TV-Chefredakteur) und Michael Erbach (PNN- Chefredakteur). Politische Kuscheleien gab es aber nur zwischen schwarz und gelb. Spuren des in der letzten Runde befindlichen Kampfes um die Wählerstimmen sind an diesem Abend an den Kämpfern deutlich geworden. Es präsentierten sich angeschlagene Vertreter der Regierungskoalition gegen selbstbewusste Herausforderer, die aus der Opposition heraus sämtliche Hiebe gegen die rot-grüne Regierung schlugen. Die Aussagen der Politiker abseits ihrer bekannten Parteiprogramme an diesem Abend sind kurz zusammengefasst: die CDU/FDP-Koalition hätte fünf verschiedene Steuermodelle (Gessinger). Die Reform Hartz IV schaffe keine neuen Arbeitsplätze, dafür müsse die Wirtschaft sorgen (Wicklein). SPD und Grüne rückten trotz besseren Wissens beim Kündigungsschutz wieder nach links, weil sie Angst vor der Linkspartei hätten (Lanfermann). Der Spitzensteuersatz könne auf 50 Prozent erhöht werden, weil kleine und mittelständige Unternehmen mit ihren Einkommenssituationen ohnehin nicht in den Bereich dieses Satzes kämen und der Spitzensteuersatz der Kohl-Regierung (52 Prozent) noch über der nun geforderten Marke gelegen habe (Kutzmutz). Und: Derzeit werde mehr über das gesprochen, was die CDU nach der Wahl alles machen will, als über die Bilanz der SPD (Reiche). „Aber ich sehe es als Zeichen, dass alle darauf warten, dass wir es umsetzen“, so das frühere Mitglied im Wahlkampf-Kompetenzteam von Edmund Stoiber vor drei Jahren. Applaus gabs dafür von den zahlreichen Christdemokraten im Saal, die willkürlicher die politischen Statements kommentierten, als die Kandidaten untereinander. Zeit zur Gegenrede blieb für sie aufgrund des 60-Minuten-Budgets ohnehin wenig. Die drei schwergewichtigen Themenkomplexe Arbeit, Steuern und Zukunftssicherung wurden zumindest angesprochen. Ins Schwitzen geriet Andrea Wicklein dabei nicht nur wegen der ein Dutzend auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer, sondern vor allem bei der Rechtfertigung der Zahlen von knapp fünf Millionen Arbeitslosen und den ständigen platten Zwischenrufen der christdemokratischen Anhänger und des Chefs der Jungen Union. Was von diesem Abend an Eindrücken bleibt und heute auch noch auf Potsdam TV nachzusehen ist, sind die persönlichen Auftritte der Spitzenkandidaten. Einerseits ein linker Einzelkämpfer mit kurzen knackigen Antworten sowie ein angeschlagener Grünen-Politiker mit einer SPD-Frau an der Seite, die an diesem Abend etwaige Vorzüge ihrer Regierung nicht herausheben konnte. Andererseits ein Polit-Profi der FDP und eine kontrolliert wirkende CDU-Kandidatin.
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