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Homepage: Organisch gewachsenes Stadtbild

Sonntagsvorlesung: Nicht die Garnison hat Potsdam erbaut

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Sonntagsvorlesung: Nicht die Garnison hat Potsdam erbaut Von Erhart Hohenstein Eine Vorlesung ist kein Gymnasialaufsatz und kann deshalb nicht mit dem Vermerk „Thema verfehlt“ versehen werden. Wenn sie jedoch wie am Sonntag im Alten Rathaus die Frage „Potsdam – eine Garnison, die sich eine Stadt gebaut hat?“ klären will, darf sie die Stadterweiterungen unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. nicht unerwähnt lassen. Sie ließen zwischen 1713 und 1738 die Zahl der Häuser von 220 auf 1154 wachsen und verzehnfachten die Bevölkerungszahl auf über 28 000. Vorrangig dienten diese Erweiterungen dazu, Quartiere für das Bataillon für Bataillon in die Stadt geholte, schließlich 6000 Mann starke Königsregiment (Nr. 6) zu schaffen, zu dem auch die Langen Kerls gehörten. Erstaunlicher Weise ging der Militärhistoriker Prof. Dr. Bernhard R. Kroener von der Universität Potsdam, in der Reihe „Potsdamer Köpfe“ darauf mit keinem Wort ein. Er führte das Publikum vielmehr auf einem visuellen Spaziergang vom Stadtschloss durch die Breite Straße. Hier spiegelte sich in Zweckbestimmung und Architektur der Gebäude die Staatsziele der preußischen Herrscher zwischen Disziplinierung der Bevölkerung, christlicher Erziehung, wirtschaftlicher Entwicklung und staatlicher Fürsorge. Dafür stehen die Militärbauten und -anlagen: Lustgarten als Exerzierfeld, Orangerie als Marstall, Langer Stall als Übungshalle, Kirchen (Garnisonkirche), Manufakturen (Gewehrfabrik) und das Militärwaisenhaus, in dem Kinder sozial verelendeter Soldatenfamilien Schulbildung und handwerkliche Ausbildung erhielten. Die exzellente Gontardsche Architektur dieses nach dem Stadschloss zweitgrößten Baukomplexes an dieser Straßenzeile demonstriert, welch hohe Bedeutung die Herrscher dieser Fürsorge beimaßen. Soldaten keine eigene Kaste Die nördlich abgehenden Querstraßen leiteten über in den zivilen Bereich, in denen Bürger und Soldaten(familien) – anfangs keineswegs in den viel genannten „Giebelstuben“ – Tür an Tür wohnten. Die Soldaten, die als Freiwächter ein drei Viertel des Jahres in zivilen Berufen arbeiteten, waren also keine abgeschlossene Kaste, sondern integraler Bestandteil der Stadtbevölkerung. Prof. Kroener demonstrierte dies unter anderem am Blatt eines unbekannten Malers, das neben Zivilisten auch Soldaten in der Warteschlange vor einer Apotheke zeigt. Die Frage, ob die Szene in Berlin oder Potsdam spielt, konnte in der Diskussion geklärt werden. Der heereskundlich versierte Volker Schobeß wies darauf hin, dass die abgebildeten Soldaten Uniformen Potsdamer Regimenter tragen. Mit seinen Darlegungen beantwortete Kroener die Eingangsfrage der Vorlesung faktisch mit Nein. Die Stadt Potsdam war vor 1800 also nicht die von der Garnison geschaffene und strukturierte „Kunststadt“, sondern ein organisch gewachsener Stadtkörper, in dem Zivilisten und Soldaten zusammenlebten. Wenn sie später als Geburtsstätte des preußischen Militarismus betrachtet wurde, sei dies eine Rückprojektion aus dem 19. Jahrhundert, als tatsächlich das Militär durch Kasernierung am Stadtrand von der Bevölkerung getrennt wurde. Die Projektion sei vom DDR-Regime übernommen worden, das mit der „Entsorgung“ historischer Bauten auch diese geschichtliche Epoche aus dem Gedächtnis tilgen wollte. Das habe zu „Leerstellen“ geführt, die es aufzufüllen gelte. Prof. Kroener sprach sich auf Anfrage dafür aus, stadtbildprägende Bauten wie Stadtschloss und Garnisonkirchturm wiederherzustellen. Anderenorts seien in der Innenstadt auch moderne, allerdings qualitätsvolle Architekturlösungen möglich. Dazu rechnet er die Adaption des Palazzo Thiene am Neuen Markt, nicht aber das außerhalb der Potsdamer Bautradition stehende IHK-Gebäude an der Breiten Straße.

Erhart Hohenstein

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