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Landeshauptstadt: „Ostdeutsche und Ungarn sind sich recht ähnlich“

Wenn Mariann Rackebrandt (29), eine Ungarin mit zwei „Heimaten“, nach Potsdam zurück kehrt, dann fährt sie nach Hause

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Wenn Mariann Rackebrandt (29), eine Ungarin mit zwei „Heimaten“, nach Potsdam zurück kehrt, dann fährt sie nach Hause Heimat ist ein Platz an dem ich mich zu Hause fühle. Ich denke, ich habe zwei „Heimaten“. Sowohl hier als auch in Ungarn, meinem Geburtsland, fühle ich mich wohl. Heimat ist ein Ort, an den man sich zurücksehnt. Auch ist es für mich ein Platz, an dem ich sozial eingebunden bin und dessen Sprache ich spreche, an dem mein Alltag stattfindet. Sie sind 1998 im Rahmen des Austauschprogramms des Deutschen Akademischen Austausch Dienstes für ein Semester nach Heidelberg gegangen. Ich habe Pädagogik und Deutsch in Pécs studiert. Das Stipendium bekam ich für Germanistik. Das Semester habe ich genutzt, um meine Diplomarbeit zu schreiben. Nach meiner Heimkehr legte ich in Ungarn mein Examen ab. Dann kehrten Sie nach Heidelberg zurück. Mein Mann hätte, als ich das Stipendium für einen Auslandsaufenthalt angeboten bekam, noch ein Jahr in Ungarn arbeiten können. Lustigerweise erhielt er ein Jobangebot in der Gegend um Heidelberg. Wolfgang stammt aus Berlin und war damals Lektor für deutsche Sprache und Landeskunde. Er unterrichtete an der Universität Pécs, an der ich studierte. Wir haben uns auf einer Fete kennen gelernt. Nach dem Ende ihres Studiums wollten sie nicht in Heidelberg bleiben. Wir wollten nach Ungarn zurückgehen. Doch dann erhielt Wolfgang ein Angebot im Ungarischen Kulturinstitut in Berlin und wir zogen zunächst nach Berlin-Buch. Vor zwei Jahren begann er für das Deutsche Kulturforum östliches Europa hier in Potsdam zu arbeiten und vor einem Jahr zogen wir nach Babelsberg. Eigentlich war es uns egal, in welchem Land wir uns niederlassen. Hauptsache wir haben Arbeit. Wir beide sprechen jeweils die Sprache des anderen gut, so dass sie keine Hürde für uns darstellt. Woher kommt Ihr Interesse an der deutschen Sprache? Damals war Deutsch die erste Fremdsprache für die Kinder an den ungarischen Schulen. Langsam wird sie von Englisch verdrängt. Sie habe deutsche Vorfahren. Meine Großmutter väterlicherseits sprach sehr gut Deutsch. Ihre Eltern kamen aus dem Rheinland. Sie wurde bereits in Ungarn geboren. Ihre beiden älteren Söhne beherrschten ebenfalls die Sprache, aber mein Vater, der 1948 geboren wurde, konnte die Sprache kaum noch. In den 50-er Jahren hatte man Angst Deutsch zu sprechen. Erst eine Generation später, also wir Kinder der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, lernten und sprachen wieder selbstverständlich Deutsch. Sie selbst beherrschen Deutsch wie eine zweite Muttersprache. Das ist mit ein Grund dafür, warum ich mich hier zu Hause fühle. Ich habe keine Kommunikationsschwierigkeiten. Dadurch kann ich in beiden Kulturen heimisch sein. Fahre ich nach Ungarn, sage ich „ich fahre nach Hause“ und kehre ich nach Deutschland zurück, sage ich das ebenfalls. Wir fahren oft nach Ungarn, damit unsere fast dreijährige Tochter Sophie ihre Großeltern und unsere Freunde erleben und kennen lernen kann. Gibt es etwas was sie manchmal im Alltag vermissen? Mir fallen zwei Dinge ein. Das eine ist ein Schokoladenriegel, der sich „Túró Rudi“ nennt und aus süßem Quark mit Schokoladenüberzug besteht. Das andere ist die Freundlichkeit der Männer gegenüber den Frauen. Sicherlich kann das nicht verallgemeinert werden. Aber hier passieren meistens die Männer eine Tür, bevor das eine Frau darf. In Ungarn hätten die Frauen den Vortritt. Auch stehen junge Leute bei uns selbstverständlicher für alte Menschen im Bus auf. Diese Umgangsformen vermisse ich wirklich. Was haben Sie hier gefunden, für sich gewonnen? Marinierte Heringe. Das Gericht gibt es bei uns nicht. Die Gesellschaft erlebe ich hier viel multikultureller. Zwar sind die Ungarn offen, nehmen Ausländer auf, aber sie bleiben etwas Besonderes, vor allem weil dort nicht so viele Nationen vertreten sind, wie hier. Für mich ist das eine Bereicherung, dass ich in Deutschland Menschen aus allen Ecken der Welt kennen lernen kann. Grade hier in Berlin-Brandenburg muss es für Sie spannend sein, wo Ost und West aufeinander treffen. Die Ost-West-Problematik habe ich erst in Berlin kennen gelernt. Davon hatten wir in Ungarn gar keine Ahnung. Was nehmen Sie für Unterschiede wahr? Ostdeutsche und Ungarn sind sich recht ähnlich. Ich denke, das hat vielleicht etwas mit der gemeinsamen sozialistischen Vergangenheit und mit der Mentalität zu tun. Es gibt das Vorurteil Ostdeutscher gegenüber Westdeutschen, dass sie zu selbstbewusst wären. Ich denke nicht, dass das stimmt. Doch nehmen sich viele Ostdeutsche eher zurück. Das ist etwas was uns verbindet, denke ich. Wie sieht Ihr Alltag aus? Ich bin derzeit für einen Berliner Schulbuchverlag sowie eine Stiftung jeweils im EDV-Bereich tätig. Sophie geht in dieser Zeit in den Oberlin-Kindergarten. Hier in Potsdam und Berlin habe ich neben meiner Familie, Freunde und Bekannte gefunden. Ich genieße hier in Potsdam nicht nur die Lage, sondern auch die hohe Lebensqualität. Das studentische Leben und die Natur erinnern mich manchmal an meine Geburtsstadt Pécs, südlich vom Balaton. Gibt es etwas was sie sich wünschen? Mögen wir überall zu Hause und willkommen sein, egal wohin es uns beruflich hin verschlägt. Das Gespräch führte Ulrike Strube

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