Landeshauptstadt: Pädagogische Talentschau
Im Projekt „Schüler unterrichten Schüler“ können Gymnasiasten testen, ob sie sich für den Lehrerberuf eignen
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Was haben halbe Noten mit einer Pizza zu tun und musikalische Pausenzeichen mit einer aufgeschnittenen Salami? Lisa Kollada und Caroline Dröder wissen die Antwort. Die beiden siebzehnjährigen Schülerinnen vom Sally-Bein-Gymnasium in Beelitz haben sich die bissfesten Vergleiche ausgedacht, um die Sechstklässler der Neuseddiner Grundschule auf den musikalischen Geschmack zu bringen. Für eine Unterrichtsstunde nämlich geben sie hier den Ton an. Nicht etwa, weil der Musiklehrer krank geworden wäre und die Stunde sonst hätte ausfallen müssen, sondern mit wohl überlegter Absicht. Lisa und Caroline gehören zum Projekt „Schüler unterrichten Schüler“, das das Beelitzer Gymnasium bereits im vierten Jahr in Grundschulen der umliegenden Städte und Gemeinden praktiziert. Mit großem Gewinn für alle Beteiligten.
In nur einer Unterrichtsstunde schafften es die Beiden, den Kindern die grundlegenden Notenwerte und Pausenzeichen zu erklären, verschiedene Rhythmen zu üben und mit Trommeln, Tamburin, Klanghölzern, Cabasa und Guiro, der „klingenden Gurke“, eine Perkussionband zu formieren, die unter Lisas beherztem Dirigat ein fast aufführungsreifes Musikstück zu Gehör brachte. Die beisitzenden Lehrerinnen, sowohl der kleinen als auch der großen Schüler, spendeten spontanen Beifall. Am Ende blieb sogar noch Zeit, einen Kanon zu singen.
„Ein Riesentalent“ bescheinigt Angela Fromhold- Treu, die Leiterin dieses außergewöhnlichen Schülerprojekts, den beiden Junglehrerinnen. Vor allem Lisa, die selbst für ihr Leben gern singt, tanzt, Klavier spielt und mit einer Berliner Musicaltruppe schon auf der Bühne stand, hat ihre „Schüler auf Zeit“ im Viervierteltakt mitreißen können und ganz nebenbei neugierig gemacht auf die „Geheimsprache“ der Noten, mit der man sich, wenn man sie beherrscht, überall auf der Welt verständigen kann.
Kinder, das weiß Lisa, sind empfänglich für Geheimbünde und sie spüren genau, ob ihnen jemand etwas vormacht oder tatsächlich von einer Sache überzeugt ist. Spätestens, als die angehende Abiturientin mit glockenklarem Gesang den Kanon anstimmte, hatte sie auch den letzten Zappelgeist für sich eingenommen.
Disziplinschwierigkeiten gab es ohnehin nicht. Dafür hatten die Kinder viel zu viel zu tun. Und wenn sie mit ihren Schlaginstrumenten herumklapperten, ohne an der Reihe gewesen zu sein, rief Lisa sie mit einem hochwirksamen Mittel zur Ruhe. Ohne zu ermahnen und zu fordern bat sie als Dirigentin für sich selbst um Aufmerksamkeit und erklärte ganz nebenbei, wie das so in einem richtigen Orchester funktioniert: „Wenn die Streicher eine Stelle üben, dann müssen die Bläser still sein. Die können sich so lange mit ihren Note beschäftigen, bis sie dran sind.“ Das leuchtete ein.
Anscheinend geben sich Schüler untereinander, auch oder gerade wenn sie ein paar Klassenstufen trennen, einen unausgesprochenen Vertrauensbonus. Schließlich sitzen sie ja noch im selben Boot, das heißt, hinter der Schulbank. Zugleich aber zollen die Jüngeren den Älteren Respekt. Davon profitiert das Projekt, das, so Angela Fromhold-Treu, immer größere Ausmaße annimmt. Insgesamt 50 Unterrichtsstunden, von der „Gummibärchenmathematik“ bis zur „Physikalischen Zauberstunde“, wurden in diesem Jahr von sieben Grundschulen der Region, darunter auch eine Schule in Potsdam, gebucht. Inzwischen kommen dabei rund 25 Junglehrer zum Einsatz.
Angefangen hatte alles mit einer Probestunde zum Tag der Offenen Tür vor vier Jahren. Das hatte den beteiligten Schülern so viel Spaß gemacht, das daraus im folgenden Schuljahr eine ganze Projektwoche erwuchs. Unter Anleitung ihrer Lehrer lernten die Gymnasiasten eine Unterrichtsstunde zu planen, von der Stoffwahl über den detailgenauen Ablauf bis zur Durchführung. „Sie staunten nicht schlecht, als sie merkten, was alles dazu gehört und wie viel Arbeit hinter 45 Minuten Unterricht steckt“, erinnert sich die Projektleiterin. „Wir nehmen den Schülern nichts ab. Sie müssen sich um alles selbst kümmern: die Idee entwickeln, das Material beschaffen, Experimente vorbereiten.“ Einmal hatten zwei Gymnasiasten für ihre Chemiestunde die Schutzbrillen vergessen und mussten dann bei der Arbeitsschutzbelehrung ihrer Schüler das Versäumnis eingestehen. Auch das gehört dazu.
Solch eine peinliche Situation blieb Andy Kubiak und Sabine Küpper erspart, als sie im Anschluss an die Musikstunde den Sechstklässlern der Neuseddiner Grundschule ihren ersten Chemieunterricht bescherten. Sie hatten an alles gedacht: weiße Arbeitskittel, Schutzbrillen, Reagenzgläser, Natron, Zitronensäure und Luftballons. Ja richtig. Eine ganze Tüte Luftballons mit dem Schriftzug des Sally-Bein-Gymnasiums. Das Logo wurde dick und rund, als die Kinder in ihrem ersten chemischen Experiment ein Gas erzeugten, mit dem sich die Ballons ohne die eigene Lungenkraft aufblähten. Eine Aktion mit doppeltem Werbeeffekt. Zum einen für das Unterrichtsfach Chemie, zum anderen für das Gymnasium, denn schließlich stehen die Mädchen und Jungen der sechsten Klasse kurz vor der Entscheidung für eine der weiterführenden Schulen.
Und wer weiß, vielleicht kehren sie in einigen Jahren als Junglehrer in ihre eigene Grundschule zurück. Denn auch diesen Effekt bringt das Projekt: Gymnasiasten, die mit dem Gedanken spielen, Pädagogik zu studieren, können hier schon mal testen, ob sie sich für den Lehrerberuf eignen und wie das so ist, vor einer ganzen Klasse zu stehen.
„Musiklehrerin“ Caroline Dröder, die an anderen Grundschulen auch schon Mathematik unterrichtete, hat sich bereits entschieden. Ihre musikalische Mitschülerin Lisa hingegen schwankt noch. Sie tendiert momentan eher zu einer Bühnenkarriere. Das Talent dafür hat sie zweifellos. Aber eben auch ein pädagogisches. Wird es, so wie hier, frühzeitig entdeckt und gefördert, muss sich das Land Brandenburg um seinen Lehrernachwuchs wohl nicht sorgen.
Antje Horn-Conrad
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