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Kaderschmiede der Stasi: Vergangenheitsaufarbeitung am Standort Golm / Eine Magisterarbeit

Kaderschmiede der Stasi: Vergangenheitsaufarbeitung am Standort Golm / Eine Magisterarbeit Von Dagmar Schnürer Studierende, die morgens um elf in der Sonne liegen und nach ihren Seminaren Kaffee trinken gehen, das ist auf dem Campus Golm ein Privileg der Nachwendezeit. Früher begannen die Lehrveranstaltungen um 7.30 Uhr und endeten gegen 16.30 Uhr. Danach sollte die Freizeit sinnvoll genutzt werden, im Sinne der sozialistischen Persönlichkeitsformung. Hier in Golm stand Sport ganz oben, kollektiver Sport, etwa in der „Arbeitsgruppe Fußball“. Individuelle Freizeit gab es vermutlich wenig. Heute genießt man hier im Sommer die ländliche Idylle und jammert im Winter über die trostlose Atmosphäre, doch kaum einer weiß überhaupt, was es mit Golm früher auf sich hatte. Mitte der 30er Jahre wurden die ersten Kasernengebäude für die Wehrmacht in die Felder bei Golm gesetzt. Mit sicheren Kellern, auf die noch heute Schilder, an die Fassade des Hauses 1 modelliert, mit der Aufschrift „Zum Luftschutzkeller“ verweisen. Eine Luftwaffennachrichteneinheit war hier stationiert. Nach 1945 hielt die Rote Armee den Gebäudekomplex bis 1951 besetzt. 1951 entstand auf dem ehemaligen Wehrmachtsgelände in Golm die „Schule des MfS“, des Ministerium für Staatssicherheit, zur Aus- und Weiterbildung der Stasi-Mitarbeiter. Vielleicht würde das Wissen um die Vergangenheit den Studierenden der Universität Potsdam das wenig einladende Erscheinungsbild des Standortes Golm und die karge, bedrückende Stimmung, erklären, meinte Torsten Wenzel. Der 27-jährige Student schreibt gerade seine Magisterarbeit in Geschichte. Und er hat sich die Hochschulvergangenheit des Standortes Golm zum Thema gewählt. Diese beginnt am 16. Juni 1951 mit der Eröffnung der „Schule des MfS“. Über die Jahrzehnte wechselte die Schule mit ihrem kontinuierlichen Ausbau ihre Bezeichnung. 1955 wurde es die „Hochschule des MfS“, 1965 die „Juristische Hochschule Potsdam“ (JHS) und im November 1989, als man die Hoffnung, alles würde mehr oder weniger so weiter laufen, noch nicht aufgegeben hatte, die „Hochschule des Amtes für Nationale Sicherheit“. Schon im Januar 1990 aber, wurde der Rektor der Hochschule, Willi Opitz, entlassen. Ebenso der gesamte Lehrkörper. Nur einige Damen des Küchenpersonals und einige Techniker arbeiten bis heute auf dem Campus. Das Gelände übernahm die Pädagogische Hochschule „Karl Liebknecht“, die bisher am Neuen Palais ansässig war. Und 1991 wurde die Universität Potsdam gegründet. In der Anfangszeit gab es viele Witze über das Abhören, denn die Anlagen mit direktem aber unbemerktem Draht in Büros der Stasi-Kollegen, waren noch funktionstüchtig. Mittlerweile sind die Zeichen dieser Zeit rar geworden. Der Sockel zwischen Haus 1 und Haus 7, den zuvor eine Leninbüste zierte, trägt jetzt eine, im Studiengang Kunst entstandene, Skulptur. In manchen Büros im Haus 14, das zu dem unteren Teil des Geländes gehört, der erst in den 70er/80er Jahren bebaut wurde, gibt es Panzerschränke in denen früher geheime Unterlagen verschlossen wurden. In einigen Seminarräumen sind Garderoben mit Hutablage, damals trugen sowohl Studenten (es gab keine Frauen) als auch Lehrer Uniform. In Teeküchen können Messer oder Gabeln auftauchen, in die „MfS“ eingraviert ist. Und zwischen den Wohnheimen vor dem Haus 14 überzieht ein großes Mosaik die Mauer, das die Befreiung durch Soldaten der Roten Armee zeigt, die Kinder und Jugendliche aus dem Krieg in eine hoch industrialisierte und technisierte friedliche Zukunft geleiten. Es sei schade, meinte Torsten Wenzel, dass nach und nach der Ostcharme verschwinde. Mit einem kräftigen Orange werden die ehemaligen Wehrmachtsgebäude jetzt frisch verputz und innen unterscheiden sie sich nach der Sanierung nicht mehr von jedem beliebigen Büroneubau. Nur bei dem Holzpavillon mit Pickelhauben-Spitze hinter der Druckerei, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Dort saßen schon Wehrmachtssoldaten im Grünen, wo sich heute Studierende zum Grillen oder Lernen niederlassen. Viele der ehemaligen Studenten und Doktoranden der JHS fühlten sich ungerecht behandelt, als nach der Wende ihr Juristen-Status nicht anerkannt wurde. Torsten Wenzel erklärt jedoch, dass die ungefähr vierjährige Ausbildung nur zum Teil aus juristischen Grundlagen bestanden habe, sonst standen militärische und ideologische Ausbildung, Russisch, operative Psychologie und praktisches Wissen in Vorbereitung auf die Arbeit in den MfS-Dienststellen auf dem Lehrplan. So hat zum Beispiel Günter Guillaume, der Agent, der 1974 Willi Brandts Rücktritt auslöste, an der JHS Vorlesungen gehalten, sicherlich keine juristischen. Mit einem heutigen Jurastudium habe die Ausbildung an der JHS also wenig gemein gehabt. In seiner Magisterarbeit möchte Torsten Wenzel den Schwerpunkt auf die 80er Jahre legen, als DDR und MfS bereits in der Krise waren. Gab es damals noch junge Menschen, die sich aus Überzeugung zu ideologie- und staatstreuen Geheimdienstmitarbeitern erziehen ließen, oder war der gute und sichere Verdienst die Motivation, will er wissen. Denn wer ließ sich schon gerne vier Jahre lang kasernieren, zudem in Golm, auch wenn das Hochschulgelände damals wie eine kleine Stadt funktionierte, mit Sparkasse, Friseur, Konsum, Sauna, Schwimmbad, KFZ-Werkstatt usw. Im Herbst soll es eine Führung über das Campusgelände geben, außerdem arbeitet Torsten Wenzel an einem Dokumentarfilm. Torsten Wenzel sucht Zeitzeugen, die in den 80er Jahren an der JHS studiert haben: towenzel@rz.uni-potsdam.de

Dagmar Schnürer

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