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Von Martin Gätke: „Papa, Windel voll!“

Anna-Kristina Mohos eröffnete in Potsdam einen Sprachladen – und bringt Babys das Sprechen bei

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Lillemor ist kaum neun Monate alt und plaudert ohne Punkt und Komma: Dass sie großen „Hunger“ hat. Dass sie jetzt gern einen „Keks“ essen möchte. Und ein Glas „Milch“ wolle sie auch dazu. Das Gespräch mit ihrer Mutter bereitet ihr sichtlich Freude. Ein Wunderkind? Schließlich spricht Lillemor etwa ein Jahr früher, als es Kleinkinder normalerweise tun. „Nein“, entgegnet ihre Mutter Anna-Kristina Mohos, „das können theoretisch alle Kinder schaffen“. Mohos ist studierte Gebärdensprachendolmetscherin und unterhält sich ebenfalls gern mit ihrer Tochter – und zwar mit den Händen.

Vor etwa zwei Wochen eröffnete die 29-Jährige einen kleinen Sprachladen in der Babelsberger Schornsteinfegergasse 12. „Wichtelhände“ heißt er. Hier bringt sie nun Babys und ihren Eltern eine „Baby-Gebärdensprache“ bei. In den Kursen lernen zunächst die Eltern wichtige Begriffe wie zum Beispiel „Hunger“ oder „Nudel“. Zu Hause können sie dann das Gelernte mit ihren Kindern üben und umsetzen. Nach etwa sechs Wochen sollen sich erste Erfolge einstellen und die Kleinkinder beginnen, Handbewegungen nachzuahmen und deren Bedeutung zu verstehen. Allmählich entsteht so ein Gespräch zwischen dem Kind und dem Elternteil: Hat das Baby Hunger, kann es nicht nur „Hunger“ zeigen, sondern auch worauf es Appetit hat – „Nudeln“ zum Beispiel.

Die Anregung zu den „Wichtelhänden“ erhielt Mohos von ihrer mittlerweile zweieinhalbjährigen Tochter: Kurze Zeit nach Lillemors Geburt fiel der Gebärdensprachendolmetscherin auf, dass das Mädchen ebenfalls Handbewegungen versteht. Als sich die Potsdamerin näher mit diesem Phänomen beschäftigte, stieß sie auf eine US-amerikanische Studie aus den 80er Jahren, in der Kindern eine vereinfachte Form der Gebärdensprache, eben die „Baby-Gebärdensprache“, vermittelt wurde – und diese auch verstanden. „Als ich das gelesen habe, wusste ich, dass ich anderen Eltern diese Sprache zeigen möchte, damit sie sich so früh wie möglich mit ihren Kindern unterhalten können“, erklärt Mohos. Dass Babys früh mit ihren Händen sprechen, hat demnach einen weiteren Vorteil. „Studien haben ergeben, dass den Kindern dadurch auch das Lernen von verbaler Sprache leichter fällt.“ Die Idee stoße im kinderreichen Potsdam auf Interesse. „Mittlerweile bekomme ich viele Nachfragen von interessierten Eltern“, sagt die 29-Jährige.

Doch das scheint nicht verwunderlich. Welche Mutter wünscht sich nicht, problemlos verstehen zu können, warum der Sohn so lautstark gegen das Essen protestiert? Und welcher frischgebackene Vater würde nicht gern begreifen, warum die Tochter so weint, wenn er sie ins Bett bringt? In Zukunft weiß er warum: „Windel“ ist ebenfalls im Repertoire der „Wichtelhände“-Sprache enthalten.

Martin Gätke

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