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Landeshauptstadt: Perfekt eingekleidet

Andrea Bösl gehört zum Defa-Urgestein. Listet die Gewandmeisterin die Namen derer auf, die sie schon kostümiert hat, geht das schnell wie im Filmabspann

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Sie verkleidet sich nicht gern. An Fasching gibt es nur „eine Schleife ins Haar und jut“, sagt Andrea Bösl. Das muss reichen, findet die gelernte Herrenmaßschneiderin. Lieber zieht sie andere an. Das macht sie glücklich.

Seit fast zehn Jahren kostümiert die ehemalige Defa-Mitarbeiterin Filmpark-Besucher. Bevor die in Shorts und Tops Gekleideten in barocke Kleider schlüpfen, misst die Gewandmeisterin die Taillen ab. „Ich bin da pingelig“, sagt die 47-Jährige. Sie möchte, dass die alten Filmkostüme auch passen und nicht einfach am Körper herunterhängen. Was an ihrem Arbeitsplatz in der „Traumwerker“-Halle an der Stange aufgereiht sei, sei „Goldstaub. So etwas fertigt heute keiner mehr an“, sagt die Gewandmeisterin. Die Schatzkammer von Andrea Bösl liegt hinter den Spanplatten der Wellblechhalle. Dort lagern straßbesetzte Diademe, Dreispitze, Sombreros und Federboas. Rund 350 Kostüme habe der Filmpark insgesamt, schätzt Andrea Bösl, die viele Jahre im Fundus von Studio Babelsberg gearbeitet hat.

Auf ihre fast ein halbes Jahrhundert alte „Altenburg“ gestützt, erinnert sie sich an vergangene Zeiten. Die aus Metall gebaute Nähmaschine funktioniert wie eine Zeitreisenapparatur. Andrea Bösl kennt sie alle: die Namhaften aus der Defa-Zeit: Barbara Dittus, Ellen Schwiers, Gerrit Kling, Horst Schulze, Kurt Böwe, Rolf Hoppe, Günter Schubert Wie in einem Filmabspann spult die 47-Jährige alle Darsteller, Regisseure, Kameramänner oder auch Maske und Kostümbildner herunter. Bei manchen Namen oder Filmtiteln stockt sie kurz. Dann fällt der Erzählerin aber eine lustige Begebenheit ein, bei der auch nicht mehr wichtig ist, wer die Protagonisten waren. Einmal habe das gesamte Team einen verregneten Tag in einem Bauwagen bei Kartenspiel und „Schnäpperken“ überbrückt. Als sie für den Achtteiler „Sharlock Holmes und die sieben Zwerge“ im Park von Schloss Marquardt drehten, sei eine Kita-Gruppe vorbeigekommen. Die Liliputaner seien durch den Zauberwald stolziert und hätten sich den Kindern als die sieben Zwerge vorgestellt. „Für die Kinder ein unvergessenes Erlebnis, wahre Märchenhelden getroffen zu haben.“ Starallüren hatte keiner der Schauspieler, eitel seien sie allerdings alle ein bisschen, sagt Andrea Bösl. So habe Heinz Rennhack immer im Kostüm vor dem Spiegel gestanden und gefragt, ob sein „Knackarsch“ gut zur Geltung käme. Und Michael Gwisdek müsse sie immer erst Mal umarmen und drücken. „Ich liebe diesen Mann – rein platonisch.“

Wer Größe hat, hat Allüren nicht nötig, sagt die Maßschneiderin, die schon mit vielen Großen gearbeitet hat. Einmal aber hat es sogar ihr den Atem verschlagen, erzählt sie. „Da kam Omar Sharif in den Kostümfundus.“ Er habe Hallo in die Nähstube gesagt und sei in die Anprobe verschwunden. „Wir waren alle erstarrt.“ Wir, das sind die ehemalige Kolleginnen, die auch heute noch aushelfen, wenn Andrea Bösl mal einen freien Tag haben möchte.

Zwischen den vielen alten Kostümen, die der Filmpark für seine Gewerkeschau dem Studiofundus abgekaufte, hat sie ihren Platz gefunden. Schnell fädelt die Schneiderin einen weißen Faden durch das winzige Nadelöhr und macht einen Knoten an sein Ende. Das Lieblingskleid der Besucherinnen mit einem Unterrock aus vielen Metern Tüll muss geflickt werden. Bevor sie 1997 das Kostümatelier des Themenparks übernahm, sei mit den Kleidungsstücken sehr unvorsichtig umgegangen worden. Sie fand Flecken und sogar Brandlöcher in den edlen Stoffen vor, die Säume waren ausgerissen, die Kunststoffeinlagen in den Reifröcken gebrochen. Der erste Schock wich dem Vorsatz, alles wieder in Ordnung zu bringen. „Das ist Arbeit für die nächsten zehn Jahre“, sagt Andrea Bösl.

Nicola Klusemann

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