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Aus dem GERICHTSSAAL: „Persilschein“ statt eines Urteils

Angeklagter ist schuldunfähig

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Aus dem GERICHTSSAALAngeklagter ist schuldunfähig Von Gabriele Hohenstein Eigentlich hätte den Polizeibeamten auffallen können, dass mit Michael M.* (27) psychisch nicht alles in Ordnung ist. Der Potsdamer erschien im November vorigen Jahres auf der Wache und erzählte eine Horrorgeschichte, die fieberhafte Ermittlungstätigkeit auslöste. Dann schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein. „Im Grunde hätte es überhaupt nicht zur Verhandlung kommen müssen“, so ein Vertreter der Behörde am Ende des Prozesses. Auch der Angeklagte Christoph T.* (26) ist persönlichkeitsgestört. Der psychiatrische Gutachter bescheinigt ihm u. a. Probleme im Leistungsverhalten an der Grenze des leichten Schwachsinns sowie eine schizophrene Psychose, ausgelöst durch exzessiven Drogenkonsum über längere Zeit, der den jungen Mann vorübergehend sogar ins Koma fallen ließ. Durch Sauerstoffmangel habe sein Gehirn dabei Schaden genommen. Mehrere Wochen habe er in einer neurologischen Rehabilitationsklinik verbracht. Nähme Christoph T. die verordneten Medikamente, könne er den Alltag – im Rahmen seiner Möglichkeiten – allerdings meistern, schätzt der Mediziner ein. Ende vorigen Jahres ließ der Sozialhilfeempfänger die Tabletten weg, rauchte dafür umso mehr Haschisch. In der Nacht des 24. November „tickte“ er dann offensichtlich aus. „Er wirkte wie ferngesteuert“, schätzt Michael M. im Zeugenstand ein. „So kannte ich ihn bisher noch gar nicht.“ Christoph T. habe ihn am späten Abend in seiner Wohnung besucht, plötzlich mit Fäusten auf ihn eingedroschen und Geld gefordert, danach sein Telefon, eine Halskette und mehrere CDs in einen Beutel gepackt. „Dann hat er seinem Hund befohlen, mich zu beißen. Ich habe das aber nicht für voll genommen, und der Hund auch nicht.“ „Der Angeklagte soll sich Ihnen als SS-Mann vorgestellt haben, der in staatlichem Auftrag käme, Sie umzubringen, da Sie seiner Ansicht nach Jude seien“, hilft der Staatsanwalt dem Gedächtnis des Zeugen auf die Sprünge. „Danach soll er sie gezwungen haben, ein Testament zu schreiben und Ihnen ein Küchenmesser an den Hals gehalten haben.“ Das Überfallopfer erinnert sich. „Vielleicht wollte Christoph Dampf ablassen?“, vermutet er. „Ich denke, in dem Moment hat er mich richtig gehasst.“ Beim Verfassen des ominösen Schriftstücks habe es sich jedoch um kein Testament im herkömmlichen Sinn gehandelt. „Ich sollte irgendwelche Summen auf einen Zettel schreiben, die ich ihm angeblich schulde.“ Der wegen versuchter und vollendeter Körperverletzung, Nötigung sowie räuberischer Erpressung Angeklagte hat kaum noch eine Erinnerung an die Vorgänge jener Nacht. Er pflege kein rechtes Gedankengut, führe die Ausschreitungen – falls sie sich so zugetragen haben sollten wie aufgelistet – auf seinen hohen Drogenkonsum zurück. Das Schöffengericht spricht den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit frei. „So ein Persilschein ist eigentlich nichts Schönes“, stellt die Vorsitzende klar. Da von Christoph T. derzeit allerdings keine Gefahr ausgehe, komme eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus nicht in Betracht. (*Namen geändert.)

Gabriele Hohenstein

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