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Neuer Schwerpunkt an der Philosophischen Fakultät der Universität: „Mobilisierte Kulturen“

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An der philosophischen Fakultät bewegt sich etwas. Das Stichwort „mobilisierte Kulturen“ macht an der größten Einrichtung der Potsdamer Universität die Runde. Ob bei der jüngst erfolgten Gründung des Instituts für Jüdische Studien oder auf akademischen Konferenzen: mehrfach hat Uni-Präsidentin Sabine Kunst die Bedeutung eines „Fokus“ auf Kultur und Mobilität hervorgehoben. Der Dekan der philosophischen Fakultät, Prof. Bernhard Kroener, unterstrich ebenfalls vor wenigen Tagen auf einer Konferenz die besondere Bedeutung des Forschungsschwerpunkts „mobilisierte Kulturen“.

Das Konzept steht nicht nur für eine neue Richtung in der geisteswissenschaftlichen Forschung. An der Uni Potsdam steht der Begriff für eine Gruppe von zehn Hochschullehrern, die der philosophischen Fakultät neue Impulse geben wollen. Gemeinsame Konferenzen, ein spezielles Promotionsprogramm und, wenn die Planung erfolgreich verläuft, sogar einen eigenen Master-Studiengang soll es geben. Erste Schritte sind gemacht: Gerade haben die Teilnehmer des Promotionsprogramms „Zur Dynamik mobilisierter Kulturen“ ihre Stipendien erhalten.

„Wir wollen Mobilität anders verstehen, als dies bisher üblich war“, sagt Prof. Rüdiger Kunow. Der Amerikanist ist Koordinator des Projekts. In der Vergangenheit seien Konflikte, die aus kultureller Mobilität entstehen, zu sehr ausgeblendet worden. Prof. Kunow wünscht sich einen „Perspektivenwechsel“ bei dem Thema Mobilität. Wobei die Diskussion um die „Postmoderne“, die seit den 70er Jahren die Geisteswissenschaften erfasst hat, einen der Hintergründe für diese neuen Bestrebungen liefert. Viele der Hochschullehrer in den Geisteswissenschaften haben ihre Ausbildung unter den Vorzeichen der „Postmoderne“ erhalten. In diesem Theoriegebäude galt Mobilität als Auslöser von Kreativität und Neuerung. Mobilität wurde als abstrakte Größe aufgefasst: Man fand sie in der Literatur, in Kunstwerken und in der Alltagskultur. Dabei ging es weniger um echte Bewegung, als um das kreative Zitieren von Stilrichtungen und Einflüssen. Die Gruppe um „mobilisierte Kulturen“ hebt sich von dieser Vorstellung ab: „Uns geht es um reale Mobilität“, sagt Rüdiger Kunow. Und nennt als Beispiel die Ankunft der ersten weißen Siedler in Nordamerika. „Das Rätsel der Ankunft“, heißt dieses Forschungsprojekt. Denn es war keine Ankunft in einem unberührten Paradies: „Ankunft kommt immer zu spät“, sagt Rüdiger Kunow. „Es ist immer schon jemand da.“

Diese Tatsache schafft Konflikte. Das betont auch Prof. Thomas Stehl. Der Romanist gehört zu den Begründern des Projekts „mobilisierte Kulturen“ und befasst sich darin mit Migrationslinguistik. Wenn Menschen sich in fremden Umgebungen bewegen, beeinflusst das auch ihr Sprechen. Die Analyse des Kontakts mit fremden Sprachen und Sprechweisen sei ein wichtiger und innovativer Aspekt der Sprachwissenschaft, so Thomas Stehl. Und: „Das Thema hat politische Brisanz“. Prof. Stehl erinnert an Diskussionen in Deutschland, die die sprachliche Verständigung an Schulen betreffen. Konflikte im Bereich der Migration sollen in dem Schwerpunkt „mobilisierte Kulturen“ eine wichtige Rolle spielen. In diesem Forschungsbereich gebe es in Deutschland Aufholbedarf, meint Prof. Stehl. Und er nennt eine weitere konkrete Aufgabenstellung: Sein Lehrstuhl bietet interkulturelles Training in deutsch-italienischen Unternehmen an. „Migration ist oft Arbeitsmigration“, erinnert Thomas Stehl an einen wichtigen Aspekt der Globalisierung. So wird deutlich, wie in dem Projekt „mobilisierte Kulturen“ von ganz konkreten Bewegungen ausgegangen wird.

Das Projekt dient als „Keimzelle“. Am Anfang stehen vier Promotionsstipendien, die das Land Brandenburg finanziert. Nun soll das Konzept ausgebaut werden. Das Ziel ist Exzellenz nach der Definition der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die DFG ist in Deutschland der wichtigste Geldgeber für akademische Forschungsprojekte. Das erfolgreiche Einwerben von Forschungsgeldern, so genannten Drittmitteln, spielt eine große Rolle bei der Bewertung einer Hochschule. Durch die praxisorientierte Ausrichtung des Schwerpunkts sieht Prof. Rüdiger Kunow auch die Möglichkeit, politische Institutionen als Geldgeber zu gewinnen. Auch dies wäre eine wichtige Neuerung an der philosophischen Fakultät.

Doch das Projekt hat nicht nur Freunde. „Skeptiker begleiten das Thema von Anfang an“, sagte jüngst Prof. Peter Drexler bei einer Konferenzeröffnung. Manche Kollegen stünden der Schwerpunktbildung grundsätzlich skeptisch gegenüber, ergänzt Prof. Kunow den Satz seines Kollegen aus der Medienwissenschaft. Für Kunow steht fest, dass die philosophische Fakultät mehr Präzision in ihrer Ausrichtung braucht.

Die Fakultät steht in einem harten Wettbewerb mit anderen Universitäten in der Region. In einem internen Papier für die Universitätsleitung charakterisiert sich die philosophische Fakultät als „personalschwach“. Auch das thematische Motto der Fakultät, „Kulturen im Vergleich“, gilt als wenig zugkräftig. Zudem kämpft die Uni Potsdam mit einem hausgemachten Problem: Bei der Gründung der Universität 1991 wurden viele Nachwuchsstellen mit unbefristeten Verträgen vergeben. Daher gestaltet sich die Förderung junger Forscher nun besonders schwierig. Seltener als sonst üblich können Stellen an Nachwuchskräfte vergeben werden. Das Projekt „mobilisierte Kulturen“ setzt hier an: mit Praxisbezug, Nachwuchsförderung und interdisziplinärer Zusammenarbeit.

Mark Minnes

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