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Landeshauptstadt: Phantasiereise ins Bild

Wie sich „Untalentierte“ im Malkurs erst lockern, ehe es ans Zeichnen geht

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Es klingt resigniert und auch ein bisschen verbissen: „Alle meine Geschwister können gut zeichnen. Und da wollte ich es unbedingt auch lernen.“ Der 23-jährige Thorsten hat sein geringes Mal- und Zeichentalent wohl schon lange als Makel empfunden und da kam ihm eine Ankündigung der Volkshochschule gerade recht.: ein Anfängerkurs „Zeichnen für Untalentierte“. Bernd kokettiert dagegen eher mit seinem Nicht-Talent. Er habe früher recht gut gezeichnet, erzählt der Vorruheständler, es aber seit 45 Jahren nicht mehr probiert. Heike gehört wiederum zu den Unsicheren. „Ich habe es mit dem Aquarellieren versucht und irgendwie gelang mir nie, das Gewünschte darzustellen“, gesteht sie.

Heike hat sich schon zum zweiten Mal im Zeichenkurs von Grietje W. angemeldet. Die Berlinerin war lange Jahre als Lehrerin für Kunsterziehung an Schulen tätig, später dann auch an der Volkshochschule Zehlendorf und nach einem Treffen der Zehlendorfer mit den Potsdamern, knüpfte sie Verbindungen zur VHS „Albert Einstein“ in der Dortustraße. Sie sei nicht nur Kunsterzieherin, sondern auch als Psychotherapeutin tätig, erläutert Grietje W. und demonstriert gleich in der ersten Stunde ihres Zeichenkurses für Untalentierte, wie gut die beiden Ausbildungen zusammenpassen. Nachdem jeder erst einmal– so wie es die eigene Vorstellung hergab – einen Blumenstrauß abgezeichnet hat, lädt sie zu einer Phantasiereise ein.

„Wir schließen die Augen und machen uns auf einen Weg durch Felder und Wiesen, wir nähern uns einem Garten und dort stehen Lilien. Lockert euch, lasst die Schultern kreisen. Entspannen. Ausatmen. Und nun zeichnet, was ihr gesehen habt.“ Die Stifte werden gegen Kohle ausgetauscht und eifrige Schüler beugen sich über das großformatige Zeichenpapier. Das Ergebnis ist erstaunlich. Die Lilienblüten geraten kräftig, individuell und zeigen bei jedem der Schüler durchaus verborgene – oder soll man sagen verschüttete – Talente. Thorsten erntet Lacher, weil er gesteht, dass er wenig botanische Kenntnisse habe und eigentlich gar nicht wisse, wie Lilien aussehen. Und entdeckt dann verblüfft, dass der Strauss, der anfangs gezeichnet werden sollte, aus Lilien besteht. Dafür sind seine Blüten aber recht lilienähnlich geraten.

Zum Schluss an den Ausflug in grüne Gefilde, gibt es noch ein paar Unterweisungen in Sachen Perspektive und dann dürfen sich die Mal- und Zeichenschüler endgültig lockern.

Grietje W. hat natürlich noch viele „Tricks“ auf Lager und wird von Stunde zu Stunde mehr offerieren. Zum Beispiel wie man Lichter setzt und Schatten verteilt, wie Perspektive entsteht und wie auf der Fläche des Blattes konkave und konvexe Rundungen entstehen können.

Sieht man, was unter anderem vom vorigen „Untalentierten“-Kurs an Stillleben gezeichnet worden ist, dann muss man ein erstaunliches Gespür für Raumaufteilung und die dargestellten Dinge konstatieren. Wichtig aber scheint immer wieder: die Augen schließen, die Gedanken wandern lassen, sich lockern und dann erst zeichnen, was man sah oder empfindet. Rentnerin Barbara fasst das in einer Spruchweisheit zusammen: „Male, was du in dir selbst siehst, siehst du nichts, dann male auch nicht.“ Auch darüber wird zu reden sein, meint Grietje, über die Wiedergabe der Wirklichkeit und die Entfernung davon ins Abstrakte. Doch sie besteht auch darauf, dass man erst einmal sein Handwerk lernen sollte, um dann davon abweichen zu können. Nach Abschluss des Kurses werden sich jedenfalls ein paar Hobbymaler für gar nicht mehr so untalentiert halten.H. Dittfeld

H. Dittfeld

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