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Landeshauptstadt: Pionierin aus Bagdad

Naziha Al-Dulaimi lebt in Potsdam. 1959 war sie die erste Ministerin des Irak – und in der arabischen Welt

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Naziha Al-Dulaimi lebt in Potsdam. 1959 war sie die erste Ministerin des Irak – und in der arabischen Welt Von Guido Berg Sie muss damals in den Augen der Männer eine wahrhaft einzigartige Attraktivität besessen haben. Es waren wohl nicht allein ihre braunen Augen und die schwarzen Haare, die auch heute noch nicht völlig ergraut sind. Nein, was Naziha Al-Dulaimi Einzigartigkeit ausgemacht haben wird, ist die Verbindung von weiblicher Ausstrahlung und offizieller Autorität. Es ist die Aura einer femininen Persönlichkeit mit Hochschulbildung. Und das ist im Irak der fünfziger Jahre eine absolute Novität: Naziha Al-Dulaimi gehört zu den ersten Frauen, die die Universität von Bagdad besuchen. Sie studiert Medizin. Und mehr noch, 1959 wird sie die erste Ministerin in der arabischen Welt. Im gesamten Nahen Osten gibt es zu jener Zeit nur eine Frau, die früher in einen so hohen Rang berufen wurde: Golda Meïr, 1949 zur israelischen Ministerin für Arbeit und soziale Sicherheit ernannt und von 1969 bis 1974 Ministerpräsidentin Israels. Naziha Al-Dulaimi gründete noch vor ihrer Berufung in die Regierung die „Irakische Frauenliga“, die noch heute aktiv ist, wie die heute 80-Jährige nicht ohne stolz in ihrer Potsdamer Wohnung erzählt. 1978 emigriert sie aus dem Irak, über weitere Stationen führt der Weg der engagierten Frau, die auch Mitglied der Kommunistischen Partei des Iraks ist, nach Potsdam. Ihr Ministerium war am Anfang nur ein kleines Direktorat für die Entwicklung der irakischen Regionen. Doch dann wird sie zur Ministerin berufen, sie gründet Zweigstellen in anderen Städten, wo ihre Anordnungen umgesetzt werden. Ihr Chef, der Ministerpräsident Abd al-Karim Qasim, beseitigt als General durch einen Staatsstreich die Monarchie und ruft die Republik aus. Er war ein fortschrittlicher Mann, sagt Naziha Al-Dulaimi, er wollte eine Frau in seiner Runde. Überhaupt, sagt die große alte Dame der Frauenrechtsbewegung, sei ihr Land hinsichtlich der Gleichstellung der Frau eines der Fortschrittlichsten in der arabischen Welt. Zumindestens in den Jahren, in denen eine Frau in Bagdad ein Ministerium führt. Im Februar 1963 kommt während eines erneuten Armeeputsches die Baath-Partei an die Macht. Es folgen Monate voller Gewalt und Brutalität. Qasim wird exekutiert, Mitglieder der Kommunistischen Partei ermordet. Im November etabliert sich ein neues Regime unter Abd as-Salam Arif. Die heutige Potsdamerin wird ihre Amtes enthoben – weil sie eine Frau ist, wie sie betont. Obwohl die Baath-Partei erst mit dem Sturz Saddam Husseins 40 Jahre später von der Bühne abtritt, ist Naziha Al-Dulaimi froh, nach ihrer Zeit als Ministerin wieder für die Frauenliga arbeiten zu können. Der Kampf für die Rechte der Frauen lag ihr immer „sehr am Herzen“. Nachdem sie das Land zwischen Euphrat und Tigris verlassen musste, lebt sie zuerst in Syrien, dann zwei Jahre in Prag. Dort arbeitet sie für die arabische Redaktion der Zeitschrift „Die Probleme des Friedens und des Sozialismus“. Freilich, gesteht sie sich heute ein, „ich wusste nicht viel von den Problemen des Sozialismus“, sie dachte, „es gibt überhaupt keine“. Sie hat viele Bücher gelesen, von Karl Marx und von Wladimir Iljitsch Lenin, zu ihren Idealen zählt sie nicht nur eine wirkliche Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern auch von Arm und Reich. Von Potsdam aus ist sie die vielen Jahre über weiterhin politisch aktiv, wie sie ihre Tätigkeit vor und nach der Wende umschreibt. Im Januar dieses Jahres lässt sich die Exil-Irakerin in einem Wahllokal in Berlin-Weißensee als Wählerin registrieren. Am vergangenen Wochenende gab sie ihre Stimme ab. Sie vermutet: Die Kommunistische Partei Iraks werde bei den ersten freien Wahlen ihres Landes seit Jahrzehnten nur „eine sekundäre Rolle spielen“. Eine Koalition von islamischen Parteien, denkt sie, werde wohl die Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten. Dass Saddam Hussein weg ist, sei ein Segen. Viele ihrer Weggefährten und -gefährtinnen habe er „abschlachten“ lassen. Trotzdem könne sie in den Amerikanern keine Befreier sehen. Sie behandelten die Iraker als Menschen dritter Klasse, dafür würden sie gehasst. Sich selbst beschreibt Naziha Al-Dulaimi als „gläubige Kommunistin“. In ihrer Jugend habe sie sogar gebetet. Dass es einen Gott gibt, hält sie für sicher, aber was die Menschen aus ihm gemacht hätten, sei etwas anderes. Für die Zukunft sehnt sie die Unabhängigkeit des Irak herbei und wünscht sich, das noch erleben zu können. Und einen weiteren Wunsch äußert die Frauenrechtlerin: Wenn es soweit ist, möchte sie ihr Geburtsland noch einmal wiedersehen.

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