Landeshauptstadt: Platzeck: „ Integration nur mit Synagoge“
Gedenken an Opfer der Pogromnacht am 9. November 1938 / Jüdisches Leben in Potsdam „blüht auf“
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Weit über hundert Menschen haben am gestrigen 68. Jahrestag am Platz der Einheit der Opfer der Pogromnacht am 9. November 1938 gedacht. Die von der nationalsozialistischen Propaganda entfachte Zerstörung jüdischer Gotteshäuser war „der Beginn der planmäßigen Vernichtung von Millionen Juden“, sagte Mykhaylo Tkach. Eine derartige Massenvernichtung hat es „seit Menschengedenken nicht gegeben“, so der stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Potsdam. Die Gegenwart habe gezeigt, dass der Faschismus das jüdische Leben in Deutschland nicht ausrotten konnte.
„Es beginnt vielmehr zu blühen“, sagte Tkach am Standort der ehemaligen Potsdamer Synagoge, die durch das Wüten der Nazis schwer beschädigt und bei dem Bombenangriff auf Potsdam 1945 zerstört wurde. Die Spendengala im Nikolaisaal am 16. November ab 19.30 Uhr für eine neue Potsdamer Synagoge, sei ein Symbol für das Erstarken jüdischen Lebens in Potsdam.
„Von wirklicher Integration jüdischen Lebens kann man nur reden, wenn die Synagoge wieder steht“, erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) vor der großen Zahl der Gedenkenden, die auf dem Fußweg vor der Synagogen-Gedenktafel am Platz der Einheit kaum genug Platz fanden. Der Ministerpräsident wie auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) forderten dazu auf, am „Tag der Demokraten“ in Halbe am 18. November gegen den rechtsradikalen Aufmarsch zu demonstrieren. „Wir werden zeigen, dass es nicht die Nazis sind, die in Deutschland das Sagen haben“, versicherte Platzeck. Jakobs erinnerte daran, dass „unser Eintreten im vergangenen Jahr gezeigt hat“, dass die Nazis von den zahlreichen Gegendemonstranten „nicht unbeeindruckt“ waren. Der Oberbürgermeister erinnerte daran, dass es in Potsdam während der Nazizeit auch Bürger gab, „die ihr Leben aufs Spiel setzten, um jüdische Bürger zu schützen“. Jakobs zufolge leben derzeit mehr als 800 Bürger jüdischen Glaubens in Potsdam.
Ministerpräsident wie Oberbürgermeister begrüßten herzlich den aus Jerusalem angereisten 1930 in Potsdam geborenen Juden David Levin. „Man sollte nicht ,Reichskristallnacht’ sagen“, klärte dieser auf. Dieser Begriff stammte von Propagandaminister Goebbels, der sich zynisch auf die vielen Glasscherben bezog, die nach den antijüdischen Übergriffen herumlagen. Als Achtjähriger erlebte Levin die Pogromnacht in einem jüdischen Schulheim in Berlin – wegen der Nürnberger Rassegesetze habe er die „arische Schule“ in Potsdam verlassen müssen. Von seiner Mutter erfuhr er später Einzelheiten über den Angriff auf die Potsdamer Synagoge. So sind die Fenster mit Übungsgranaten beschossen worden. Um die Kanzel hatten die Nazi-Täter eine Kette gelegt, an der vor der Tür ein Lkw so lange zog, bis sie herabstürzte. Die 1903 erbaute Potsdamer Synagoge soll eine der schönsten in Deutschland gewesen sein, so Levin. Guido Berg
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