Von Michael Klug: Polen entdecken deutsche Geschichte
Im Grenzort Kunowice stellen 300 Laiendarsteller die Schlacht bei Kunersdorf von 1759 nach
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Kunowice - Als gebrochener Mann steht der Preußenkönig Friedrich II. auf einem Hügel nahe Kunersdorf und blickt auf das Schlachtfeld vor ihm. Vor ihm liegt sein Heer, vernichtend geschlagen von einer Übermacht aus Russen und Österreichern. Dem eigenen Tode sicher sagt Friedrich resigniert zu einem Getreuen, der ihn retten will. „Lass er es, es ist vorbei.“ Doch bevor Friedrich II. angesichts der verheerenden Niederlage im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) zum Gift greifen kann, beschließt der Getreue, seinen Herren zu retten. Er greift zum Karabiner, schießt einen feindlichen Soldaten vom Pferd und rettet damit den Monarchen, der später Friedrich der Große genannt wurde.
Die Szene stammt aus der Schlacht bei Kunersdorf am 12. August 1759, die am vergangenen Wochenende von und 300 Laiendarsteller aus Deutschland und Polen im heutigen Kunowice an der Oder nachgestellt wurde. Unter den mehreren tausend Zuschauern befindet sich auch Christian von Prettwitz. Und er bestätigt, dass sich die Rettungsszene tatsächlich so zugetragen hat. „Mein Vorfahr hieß Bernhard von Prettwitz und war Ziethenhusar. Er hat damals den Friedrich wirklich vom Schlachtfeld begleitet“, sagt der 68-Jährige, der extra aus Süddeutschland zur Nachstellung der historischen Schlacht nach Polen gereist ist.
Organisiert wurde die Schlachtnachstellung zum 250. Jahrestag vom polnische Verein Collegium Polonicum in der Grenzstadt Slubice. „Die Lust der Polen an jeglicher Art von Geschichte wächst“, sagt Vereinsmitglied Siuiel Karol über die Gründe, weshalb sich die Polen ausgerechnet jener Schlacht annehmen, mit der sie eigentlich gar nichts zu tun hatten. Zugleich hat der 28-jährige Jurist einen Trend unter seinen Landsleuten ausgemacht. „Das Verkleiden und Nachstellen von militärischen Schlachten haben sich die Polen von den Deutschen abgeschaut“, sagt Karol.
Sein Vereinschef Krzysztof Wojciechowski, ein Philosoph, hält das sogar für eine Sensation. „Früher reichte das historische Bewusstsein meiner Landsleute gerade mal bis 1945 zurück“, sagt der 52-jährige und sieht nun seine Landsleute „mental gereift, wenn die sich für deutsche Geschichte interessieren“.
Die Freude der polnischen Veranstalter an den Festlichkeiten wurde aber ausgerechnet auf deutscher Seite nicht geteilt. Im knapp sechs Kilometer von Kunowice entfernten Frankfurt (Oder) stieß einige Programmpunkte bei den dortigen Stadtverordneten sogar auf heftige Ablehnung. So war man zwar bereit, eine wissenschaftliche Tagung und die Errichtung eines Gedenkpavillons anlässlich des Jahrestages unterstützen. In der Nachstellung der Schlacht wurde jedoch eine „Militarisierung“ und „Kriegsverherrlichung“ gesehen.
In einem offenen Brief wurde den polnischen Veranstaltern von den Stadtverordneten schließlich vorgeworfen, sie würden an jenem Ort, an dem auch in letzten Kriegstagen im Frühjahr 1945 mehrere hundert Soldaten ums Leben kamen, eine „Spaßveranstaltung unter Missachtung der Würde“ abhalten.
„Ganz großer Blödsinn ist das“, kommentiert Jurist Karol die Einwände von deutscher Seite und zeigt dabei auf die über dem einstigen Schlachtfeld dahingestreuten Eigenheime von Kunowice. „Auf fast jedem Flecken in der Gegend wurden irgendwann Menschen getötet.
Wenn heute Häuser darauf gebaut werden, verletzt das doch auch keine Würde“, betont Karol seine Unempfindlichkeit gegenüber der historischen Last des Bodens. Zugleich deutet er an, dass aus der Premiere sogar eine Tradition werden könnte. „Wenn wir mit solchen Sachen die ansonsten ereignisarme Gegend beleben können, lohnt sich das auszubauen.“
Michael Klug
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