
© Andreas Klaer
Interview: „Politiker sind wie Wanderer im Walde“
Potsdams Linke-Chef Sascha Krämer spricht vor der angestrebten Wiederwahl über alte und neue linke Themen in Potsdam, das Verhältnis zu den anderen Parteien und die Kommunalwahl 2014.
Stand:
Herr Krämer, seit zwei Jahren führen Sie die Linke in Potsdam. Warum ist Ihre Partei in dieser Zeit politisch deutlich nach links gerückt?
Woran wird denn festgemacht, was links ist? Die Linke greift jetzt stärker Themen auf, die nah bei den Potsdamern sind: preiswertes Wohnen, Sicherung von kommunalem Eigentum und Ausbau der demokratischen Teilhabe. Wir sind offener, transparenter und aktiver geworden. Mein Anspruch ist es, eine moderne und zugleich traditionsbewusste Linke zu schaffen, die in die Gesellschaft ausstrahlt, insbesondere für junge Menschen attraktiv ist und auf der Höhe der Zeit mit den Menschen kommuniziert.
Doch wirkt das Erscheinungsbild der Partei eben deutlich linkslastiger als noch vor einigen Jahren. Das fängt beim Personal an. Es fällt auf, dass zunehmend Mitglieder der linksalternativen Szene in Parteifunktionen auftreten - vom Vorstand bis zum designierten Bundestagskandidaten, der Mitglied in der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften Roten Hilfe ist. Warum dieser Kurs?
Natürlich haben wir linke Themen wieder auf das politische Tableau gehoben. Links bedeutet für mich: Gerechtigkeit, es bedeutet Solidarität, also einen Schutzschirm über abhängig Beschäftigte und die Schwachen der Gesellschaft aufzuspannen. Es heißt für mich aber auch das Eintreten für die Freiheit des Einzelnen, es bedeutet die Stärkung der Demokratie und der Rechte der Bürger, die konsequente Ablehnung von Krieg als Mittel der Politik, links bedeutet für mich Toleranz gegenüber Andersdenkenden, und links sein bedeutet die ökologische Herausforderung als Chance zu begreifen und dabei die soziale Dimension nicht aus den Augen zu verlieren. Ja, wir sind attraktiv geworden, auch für junge Menschen, die über den Tellerrand des Möglichen schauen, die eine Vision von einer anderen Gesellschaft haben und die jetzt politische Verantwortung übernehmen wollen.
Letztlich geht es bei der Politik aber auch um Wählerstimmen. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Kurs in Potsdam noch Mehrheiten finden können?
Als ich als Kreischef begann, haben wir mit einer Bürgerumfrage begonnen, um so zu sehen wie die Einwohner Potsdams ticken, was sie von der Politik erwarten. Danach haben wir unsere politische Arbeit ausgerichtet. Wir haben Politik für Migranten, Alte oder Junge, Studenten oder Angestellte im öffentlichen Dienst gemacht und genau so mit vielen unterschiedlichen Partnern den Badstandort Brauhausberg gesichert. An dieser praktischen Arbeit lassen wir uns messen. Und natürlich, die Linke ist eine linke Partei. Sie ist eine Alternative, die für mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie streitet, gerade hier vor Ort in Potsdam.
Das bestreitet niemand. Doch der sich verändernde Kurs ihrer Partei wirkt manchmal auch widersprüchlich. Ein Beispiel: Sie reden mehrfach von einer möglichen Zusammenarbeit mit der SPD, einem rot-roten Bündnis für Potsdam - und geben sich bei Fragen wie etwa dem Staudenhof-Abriss oder dem des Mercure-Hotels neben dem Landtagsschloss völlig kompromisslos. Und sie wettern gegen Kürzungen im Haushalt. Wie soll da perspektivisch ein Bündnis mit der SPD möglich sein?
Es bedarf keiner zweiten SPD in Potsdam - sondern einer eigenständigen Partei mit eigenem Profil und klaren Zielen. Die SPD entfernt sich von sozialen und linken Themen. Da spielen wir nicht mit. Und warum sollte sich immer nur die Linke bewegen? Warum kann nicht auch die SPD kompromissbereit sein? Denn wenn sich immer nur einer bewegt, dann macht das Spiel keinen Spaß. Aufgabe der SPD ist es, für sich selbst zu klären, was sie inhaltlich in der Rathauskooperation mit CDU, Grünen und FDP hält und für welches denkbare politische Leitbild sie steht. Wie und mit wem möchte die SPD sozial und gerecht Politik gestalten und dies unter erschwerten bundespolitischen Rahmenbedingungen? Aus diesem Verständnis heraus sehe ich die dringende Notwendigkeit für einen ergebnisoffenen und öffentlichen Diskussionsprozess zwischen Linke und SPD, die beide den Anspruch formulieren, für mehr soziale Gerechtigkeit einzutreten. Einstweilen streben wir für Potsdam themenbezogene, wechselnde Mehrheiten an.
Sie sagen, die SPD entfernt sich von linken Themen. Bei der Linke, so hat man in diesen Tagen den Eindruck, geht es vor allem um Häuserkampf: Sie kämpfen gegen den Abriss des Mercure, des Staudenhofs, gegen einen Untergang des Archivs und so weiter. Warum kämpfen sie nicht genauso furios für gerechtere Kita-Gebühren, ein Thema, was wohl deutlich mehr Familien in Potsdam bewegt - und damit auch Wähler?
Wir haben für viel mehr gestritten - für den Bürgerhaushalt, für Transparenz, für eine weltoffene und tolerante Stadt, für freien Parkeintritt, bezahlbaren Wohnraum, für das Ehrenamt, für Vielfalt im Gedenken, für starke Stadtwerke und transparentes Sponsoring, für einen Fußballplatz in Babelsberg, für einen Sozialtarif beim Strom, gegen diskriminierende Sonderregelungen für Flüchtlinge, für ein Ein-Stunden-Ticket im Nahverkehr für alle Richtungen ...
Glauben Sie, dass es Ihnen mit diesen Themen zur Kommunalwahl 2014 wieder gelingt, in Potsdam die stärkste Fraktion zu stellen?
Hier hat vor allem die Fraktion sehr gute Arbeit gemacht. Sie kümmert sich akribisch um die Tagespolitik. Gemeinsam sind Fraktion und Partei - wobei jeder weiß, welche Rolle er zu spielen hat - thematisch gut aufgestellt für kommende Herausforderungen.
Aber wird das zur Kommunalwahl 2014 reichen? Bekanntlich sind viele ihrer Wähler überaltert, sie müssen also auch neue Wählerschichten gewinnen. Steht nicht die Gefahr, dass Ihr Kurs Ihnen zwar Wähler in der linken Szene bringt, nicht aber in der Mitte...
Bekanntlich - da wissen Sie mehr als ich. Aber darüber unterhalten wir uns Juli 2014. Ich werde jetzt nicht spekulieren, sondern mit der Fraktion und den Landtagsabgeordneten Politik mit und für die Menschen in Potsdam machen. Ein Politiker gleicht einem Wanderer im Walde, der die Richtung seines Marsches kennt, aber nicht den Punkt, an dem er aus dem Forst heraustritt. Aber wir arbeiten darauf hin, dass Die Linke erneut stärkste Kraft wird.
Sie sprechen die Landtagsfraktion an: Dorthin wollen Sie auch. Sie haben bereits angekündigt, 2014 gegen das Potsdamer Linke-Urgestein, Gesundheitsministerin Anita Tack, eine Kampfkandidatur anzustreben, um von Potsdam aus in den Landtag gewählt zu werden. Sie machen sich damit in der Partei sicher nicht nur Freunde.
Ich habe lediglich gesagt, dass ich meine Zukunft eher in der Landes- als in der Bundespolitik sehe.
Sie haben aber auch gesagt: Wenn die Parteimitglieder sich in einer Kampfabstimmung zwischen Tack und Ihnen entscheiden müssten, „ist das nichts Schlimmes“.
Kandidaturen verschiedener Personen gehören zum demokratischen Prozess.
Droht nicht eine Schwächung für die beiden wichtigen Wahlkämpfe in Stadt und Land, wenn sich so wichtige Protagonisten wie Sascha Krämer oder Anita Tack um eine Kandidatur streiten?
Wir haben erst einmal eine Bundestagswahl vor uns: Anita Tack und ich werden noch viel Zeit miteinander verbringen und dabei viel über die Stadt, die Linke und über unsere gemeinsame Zukunft reden.
Nun steht am kommenden Samstag ihre Wiederwahl an: Beim letzten Mal stimmten 83 Prozent der Delegierten für Sie. Glauben Sie, dass Sie sich dieses Mal verbessern können?
Ich werde dazu sprechen, was ich in den zwei Jahren gemacht habe. Wir sind die einzige Partei, die offensiv und transparent Politik gemacht hat - und dies auch über die neuen Medien. Wir haben eine Bürgerumfrage in der Stadt durchgeführt – die übrigens Oberbürgermeister Jann Jakobs zwar versprochen, aber nicht durchgeführt hat. Wir haben eine neue Geschäftsstelle in der Innenstadt etabliert, den kompletten Verband neu und moderner strukturiert und bieten regelmäßig neue Veranstaltungsformate wie „Die Linke trifft …“ oder „Die Linke lernt …“ an. Ich werde für diese Arbeit werben.
Sie schreiben sich auch auf die Fahnen, dass Sie als einzige Partei mit den anderen Potsdamer Parteien öffentlich das Gespräch gesucht haben. Was können solche einzelnen Veranstaltungen überhaupt bewirken?
Das Parteiensystem befindet sich im Umbruch. Parteien insgesamt mangelt es an Strukturen, um gesellschaftliche Impulse aufzugreifen. Parteien haben mit Mitglieder- und vor allem mit Vertrauensverlusten zu kämpfen. Daher müssen neue Wege gefunden werden, um Parteien wieder attraktiv für die Menschen zu machen. Sie müssen beweisen, dass man gemeinsam etwas bewegen kann. Deswegen wollten wir mit anderen Parteien ins Gespräch kommen. Dabei geht es uns um den Dialog, wie wir gemeinsam die Stadt lebenswerter gestalten. Außerdem geht es uns darum, wie wir mehr Begeisterung für politische Partizipation sowie mehr echte Bürgerbeteiligung erreichen. Die Veranstaltungen dazu waren ein Anfang.
Ist es denn um die politische Kultur zwischen den Parteien in Potsdam so schlecht bestellt, dass solche Gespräche nötig sind?
Es gibt in Potsdam keine verbindliche Gesprächskultur zwischen den Parteien. Zuletzt habe ich eine Initiative gestartet, darüber zu sprechen, ob vor der Bundestagswahl von allen Parteien nicht insgesamt weniger Plakate gehängt werden können, um Überdruss bei den Bürgern zu vermeiden. Bisher habe ich noch keine Antwort erhalten. Es werden in Potsdam immer noch zu oft ideologische Grabenkämpfe geführt und Klischees strapaziert, anstatt sich über politische Ziele zu unterhalten.
Das Gespräch führte Henri Kramer.
Sascha Krämer ist seit zwei Jahren Chef des rund 800 Mitglieder starken Linke-Kreisverbands Potsdam. Am kommenden Samstag stellt er sich beim Kreisparteitag der Linken zur Wiederwahl.
Der 35-Jährige ist verheiratet. Er hat an der Universität Potsdam Politikwissenschaften studiert und ist bei der Linken-Bundestagsabgeordneten Diana Golze als Mitarbeiter angestellt.
Privat hört der Linke-Politiker Rock-Bands wie Pearl Jam, treibt Sport und ist Fan vom Fußballverein Bayer Leverkusen 04. PNN
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