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Landeshauptstadt: Politisches und finanzielles Debakel

Landtag: Scharfenberg fordert Jakobs auf, über Rücktritt nachzudenken / Verhalten Speers in der Kritik

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Ein Blick in die Gesichter von Wieland Niekisch und Peter Lehmann verriet das Ergebnis bereits vor der offiziellen Verkündung: Verloren. Die Abstimmung für einen Landtag am Alten Markt ist gestern Abend in geheimer Abstimmung zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen gescheitert, das Projekt steht vor dem Aus. Die Stadt Potsdam hat damit ein politisches und finanzielles Debakel erlebt, hieß es nach der Abstimmung vor dem Plenarsaal des ehrwürdigen Stadthauses. Denn einhellig werteten die Fraktionschef der Parteien die Abstimmung als große Niederlage für Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Aber auch die Gegenfinanzierung der bisherigen Planungen und Arbeiten am Alten Markt in Millionenhöhe muss womöglich aus der Stadtkasse bezahlt werden.

„Wir werden dem Land gegenüber vertragsbrüchig“, erklärte ein sichtlich enttäuschter SPD-Fraktionschef Mike Schubert. Damit wäre der Kauf des Grundstücks für etwa 8,5 Millionen Euro hinfällig. Das Geld sollte für die kostspielige Baufeldfreimachung verwendet werden. Schubert erklärte, der Ball liege nun wieder beim Land.

Als wenig hilfreich für die Entscheidungsfindung in der Landeshauptstadt Stadt wurden die Aussagen von Finanzminister Rainer Speer (SPD) eingestuft. Der hatte von einer Kompromisslösung, die nicht verhandelbar gesprochen und erklärt: Er werde dem Landtag empfehlen, die Pläne am Alten Markt ad acta zu legen und die Sanierung des Landtags am Brauhausberg empfehlen. „Das klang wie der herablassende Habitus eines Landesfürsten der glaubt, seinen Untertanen Almosen geben zu müssen“, sagte Peter Schüler. Das habe dem Fraktionsvorsitzenden der Bündnisgrünen „quer im Hals gelegen“. Nun müsse wieder zu der Gelassenheit gefunden werden, um die Mitte neu anzugehen, sagte Schüler.

Auch der CDU-Fraktionschef Steeven Bretz erklärte nach der Niederlage: „Speer hat sich benommen wie ein Elefant im Porzellanladen.“ Bretz nimmt diese Niederlage persönlich: „Das Abstimmungsverhalten einiger Stadtverordneter ist eine Frechheit gegenüber dem Oberbürgermeister.“ Es sei eine verheerende politische Entscheidung, die gesamte strategische Ausrichtung der Stadt sei gefährdet. „Wir sind heute ein Stück in die Unregierbarkeit gestürzt.“, so Bretz. „Es ist eine Niederlage für den OB, aber auch für mich. Wir wollten das gemeinsam und sind gescheitert.“ Konsequenzen wollte er am gestrigen Abend weder fordern noch ziehen. Der Blick nach vorne sei schwer, sagte er.

Die Linkspartei.PDS mit Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg, der sich trotz seines vermeintlichen Sieges am Abend, nicht wirklich glücklich fühlte, stellte den Oberbürgermeister in seinem Amt zur Disposition: „Das ist eine Schlappe für den OB. Er muss über einen Rücktritt nachdenken.“ Scharfenberg verlor im letzten Oberbürgermeister-Wahlkampf mit 122 Stimmen gegen den jetzigen Amtsinhaber Jann Jakobs. Zum Verhalten Speers sagte der Landstagsabgeordnete Scharfenberg: „Herr Speer hat sehr direkt die Auffassung des Landtages vertreten.“

Jakobs“ Fraktionschef Mike Schubert sieht den Oberbürgermeister jedoch trotz der Niederlage in einer der wichtigsten Entscheidungen für die Stadt, wie sie vorher bezeichnet wurde, nicht beschädigt: „Der OB ist von den Potsdamern gewählt. Er hat eine zentrale Abstimmung verloren, deswegen läuft man aber nicht weg“. Jakobs schloss gestern direkt nach der Abstimmung einen Rücktritt aus, heute Mittag will er vor die Öffentlichkeit treten die Entscheidung analysieren.

In der Debatte vor der Abstimmung sprachen sich 29 Stadtverordnete öffentlich für den Bebauungsplan zum Landtag am Alten Markt aus – mindestens fünf müssen abgewichen sein, da bei der geheimen Abstimmung nur 24 Stadtverordnete dafür stimmten. „Heute ist einiges von dem, was unsere 89er begonnen haben, wofür sie einst standen – mit ihrem Protest und ihrem Widerstand gegen den Zerfall der Potsdamer Innenstadt und die Zerstörung der historischen Stadtstruktur –, wohl ein Stück weit gescheitert. Einige sind heute von der Fahne gegangen.“, sagte Mike Schubert. Bretz resümierte, der Kampf um den Landtag in der Mitte ging an die innere Substanz. „Heute haben wir uns ein Stück weit lächerlich im Land gemacht“

Als Auslöser für die Entscheidung wird auch das Verhalten zu zwei Änderungsanträgen der Bündnisgrünen durch Saskia Hüneke gewertet. Sie wollte zwei kleine sprachliche Änderungen im Beschlusstext haben, eine davon fand keine Mehrheit. „Das hat die Situation nochmals verschärft“, so ein Stadtverordneter. Da habe sich die kompromisslose Haltung deutlich gemacht, dass den Stadtverordneten kein Mitspracherecht mehr an dem Bauvorhaben zugestanden werde. Jan Brunzlow/Peter Tiede

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