Landeshauptstadt: Potsdam
Manch Jahr ist wie ein Abendessen. Selbst zubereitet, doch leider nicht gänzlich gelungen.
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Manch Jahr ist wie ein Abendessen. Selbst zubereitet, doch leider nicht gänzlich gelungen. Die Vorspeise ein wenig verbrannt, das Hauptgericht ein wenig versalzen. Gelingt aber das Dessert perfekt, ist am Ende trotzdem alles gut, breitet sich Wohlbefinden aus, erscheinen Gegenwart und Zukunft verheißungsvoll. Darf Potsdam sich so fühlen zum Ende dieses Jahres, an dem wie frisch gestrichen der Erfolg glänzt, Schmach und Blamagen in der Erinnerung verblassen? Ja, es darf. 2007 hat einen guten Nachgeschmack, alle Zuversicht ist berechtigt.
Die Landeshauptstadt, lange stigmatisiert als Spätzünder, startet durch. Spatenstiche, Richtfeste, Einweihungen werden bald inflationär sein, so viele Kräne drehen sich. Maßgeblich sind die in der Mitte, die nach knapp 17-jähriger Debatte endlich geordert werden können: Die Potsdamer, Stadt und Land haben sich entschieden für den Parlamentsneubau auf dem Schlossgrundriss, das nahezu märchenhafte Mäzenatentum des Potsdam-Gönners Hasso Plattner machte drohenden Architektursünden in letzter Minute den Garaus. Dass mindestens eines der sechs Konsortien, die sich beim Land um Bau und Betrieb des Parlamentsneubaus bewerben, in seinem Entwurf historische Fassade und funktionale Nutzung vereinen kann, ist zu erwarten.
So geht 2007 zu Ende mit der Gewissheit, dass Potsdams Herz wieder schlagen wird. Spätestens 2009 soll begonnen werden mit den Bauarbeiten für den neuen Landtag, spätestens dann wird der turbulente Weg dorthin wohl nur noch eine politische Anekdote sein. Selbst die teuer verkaufte Wandlung der Linken im Stadtparlament von Gegnern zu Befürwortern der neuen Potsdamer Mitte ist keine übertriebene Finanz-Strapaze für die Stadt. Die Sanierung von Schulen und Kitas, des Alten Rathauses und der Bibliothek sind ohnehin notwendig und die Gelder eingeplant.
Doch nicht nur mittenmang werden Brachen beseitigt: In Drewitz siedelt sich ein Möbelhaus an, in Babelsberg wird eine Veranstaltungshalle gebaut, in der Speicherstadt und am Hauptbahnhof sollen hunderte neuer Wohnungen entstehen. Dringend benötigte, denn Potsdam ist aller Voraussicht nach auch 2007 gewachsen. Immer mehr Kinder werden in der Landeshauptstadt geboren, immer mehr Menschen wollen hier leben. Die Arbeitslosenquote ist niedrig wie seit der Wende nicht mehr, beste Platzierungen in den Ranglisten zu Familienfreundlichkeit und Zukunftsfähigkeit steigern die Attraktivität. In der Wissenschaft gehen ganze Klima-Rettungs-Initiativen von Potsdam aus, in der großen Politik hat die Landeshauptstadt mit den G8-Tagungen die Rolle als traditioneller Ort bedeutender Konferenzen wieder gewonnen. Auch dank eines neuen bundesweiten Fördersystems ist die Stadt wieder Filmmetropole, Hollywoodstars wie Tom Cruise, Susan Sarandon und John Goodman gaben sich 2007 im Studio Babelsberg die Klinke in die Hand.
Summa summarum: Endlich ist Potsdam dort angekommen, wo es hingehört. Es hat einen festen Platz unter den namhaften, attraktiven, erfolgreichen Städten Deutschlands ergattert. Das darf kein Ruhekissen sein, dieser Maßstab muss künftig gelten.
Professionalität ist gefragt, souveränes Agieren der Stadtspitze und Verwaltung, der Kommunalpolitik. Welche Lücke hier zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft, hat Günther Jauchs berechtigter Vorwurf, im Bau- und Denkmalamt herrsche Willkür, im vergangenen Sommer überdeutlich gemacht. Diese Krise ist trotz des Untersuchungsberichts von Verwaltungsrechtler Ulrich Battis, trotz Maßnahmenplan und Schlichtungsstelle im Baudezernat lange nicht bewältigt. Mag die Mentalität in den Ämtern sich auch wandeln, wie dies die Verwaltung vehement behauptet, bleiben die Mängel in der politischen Führung, im Baudezernat, im Kulturdezernat, doch gravierend. Auch visionäre Fähigkeiten beweist die Stadtspitze bisher viel zu wenig: Die prestigeträchtige Bewerbung als Stadt der Wissenschaft scheiterte, statt Potsdam machte Jena das Rennen.
Gleichermaßen schludrig wurde die Chance vertan, am Brauhausberg mit dem Erlebnisbad nach Entwurf des kommunistischen Architektur-Altmeisters Oscar Niemeyer ein Monument der Moderne zu schaffen, als Gegenentwurf quasi zum nebenan erwachsenden Stadtschloss-Landtag. Sicher, landespolitisch hatten sich die Mächte schlussendlich gegen die Stadt verschworen, die Verweigerung der Fördermillionen war vorauszusehen. Doch bleibt der Eindruck, dass die Weichen für die brasilianischen Kuppel-Phantasien bereits zu Beginn des ambitionierten Vorhabens nicht clever genug gestellt wurden, sich Größenwahn breit machte statt differenziertes politisches Management.
Im Kurzzeitgedächtnis der Stadt allerdings nimmt dieses Scheitern nur noch einen nachrangigen Platz ein. Strahlend genug entfalten sich die Erfolge der jüngsten Zeit. So darf SPD-Stadtoberhaupt Jann Jakobs, im Sommer noch angeschlagener Krisenmanager in Sachen Battis und Niemeyer und obendrein unter bundesweitem Investoren-Bevorteilungs-Verdacht, jetzt den Staatsmann geben. Überbrücken, die pulsierende, aber widersprüchliche Stadt einen, gleiche Lebenschancen bewahren – mit dieser Devise geht Jakobs ins Kommunalwahljahr 2008. Im Herbst wird das neue Stadtparlament gewählt, werden die Karten neu gemischt – so der Wähler dies überhaupt will. Vieles spricht dafür, dass der sozialdemokratische Oberbürgermeister sich kaum über stabilere Mehrheiten wird freuen können. Denn die Linke unter Führung von Hans-Jürgen Scharfenberg – er hatte vor fünf Jahren die Oberbürgermeister-Stichwahl gegen Jakobs mit nur 122 Stimmen verloren – profiliert sich als Realo-Fraktion mit Gestaltungsanspruch. Mit kostenlosem Schulessen für bedürftige Kinder oder verträglich gestaffelten Wasserpreis-Erhöhungen lassen sich im ohnehin dunkelrot geprägten Potsdam auch neue Wähler überzeugen. Zumal die SPD sich schwer tut mit ihrem Profil, manches Mal zwischen Regierungs- und Oppositionspolitik schwankt, und ebenso wie die Christdemokraten zusätzlich mit Abweichlern in der eigenen Fraktion zu kämpfen hatte.
Einfacher wird das Regieren somit für Oberbürgermeister Jakobs wohl auch nach der Kommunalwahl nicht. Erstmals in seiner Amtszeit aber scheint es, als hätte er für die unberechenbaren politischen Verhältnisse ein Rezept gefunden. Salopp ausgedrückt ließe sich behaupten, der Oberbürgermeister hat sich mit der Rolle des Küchenchefs abgefunden oder sich auf sie eingestellt: Das Abendessen liegt in seiner Verantwortung, die Zutaten aber dürfen alle liefern. Selbst den Kochlöffel gibt er ab und an (zu?) freizügig aus der Hand. Wie das Potsdamer Menü schmeckt? Eigentlich ganz gut – oder wie man hier zu sagen pflegt: Da kann man nicht meckern.
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