HEYES Woche: Potsdam erfindet sich neu
Uwe-Karsten Heye über ein Leben gegen den Trend
Stand:
Tanja heißt die 150 000. Potsdamerin, Studentin für Musik und Geschichte. Wie es heißt, sei sie aus eher pragmatischen Gründen hergezogen und außerdem sowieso eine gebürtige Potsdamerin. Ich bin sicher, alsbald wird sie dem Charme der Stadt erliegen und dann wird sie aus vielen Gründen Potsdamerin bleiben. Die Landeshauptstadt wächst, sie verändert sich und erfindet sich quasi neu. Potsdam wird jünger – ganz anders als das Land, in dem manches Dorf und manche Kleinstadt vergreisen. Das ist nicht nur demografischer Wandel, es hat auch mit einer immer noch anhaltenden ökonomisch bedingten Ost-West-Wanderung zu tun. In manchem Ort ist kein Kinderlachen mehr zu hören, die Schule ist längst geschlossen. Die wenigen Schüler haben lange Wege zur nächsten Schule. Bildungsferne wird auf dem Land buchstäblich.
Potsdam lebt gegen den Trend. Die Stadt kann den Kinderboom mit staatlichen Schule kaum bewältigen. Privatschulen schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Dichte an Kindertagesstätten ist ohne Beispiel. Die Stadt kann sich stolz mit dem Titel „Kinderfreundlichste Stadt“ schmücken. Ein besseres Qualitätssiegel kann eine Stadt nicht haben. Berlin schielt manchmal etwas neidisch auf seinen Vorgarten Potsdam, zumal mancher Familienrat in manchem Berliner Wohnquartier den Umzug nach Potsdam beschließt und damit auch den Umzug von Steuerbürgern. Wohl auch ein Grund, warum der Berliner Finanzsenator so mürrisch blickt.
Potsdam hat allen Grund, bei so viel Aufstieg Luft zu holen. Es ist richtig, dass dabei der Blick auf die eigene Geschichte fällt. Die Anregung, das Potsdamer Toleranz-Edikt neu zu buchstabieren heißt, die Frage nach der Bürgergesellschaft zu stellen, die mit aktiver Toleranz ein Stadtklima prägt, in dem jeder, gleich welcher Herkunft oder Religion zuhause sein kann. Es heißt aber auch, sich allen Teilen seiner Geschichte zu erinnern. Dazu gehört das preußische Erbe und der braune „Tag von Potsdam“, der 20. Juli nicht weniger. Denn viele seiner Träger kamen aus Potsdam wie James Graf Moltke oder Adam von Trott. Auch den SED-Grauschleier mit Stasi und KGB-Gefängnis gilt es, in den Geschichtsunterricht aufzunehmen. Und warum nicht auch Stolpersteine setzen, um nicht nur in der Berliner Vorstadt daran zu erinnern, wer dort diese prachtvolle Architektur in Auftrag gab.
Uwe-Karsten Heye schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor war Redenschreiber bei Willy Brandt und Regierungssprecher von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder. Heute lebt Heye mit seiner Familie in Babelsberg und arbeitet dort als Autor und Publizist.
Uwe-Karsten Heye
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: