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Landeshauptstadt: „Potsdam ist größer als es ist“

Philosophie und Demographie: Der Neujahrsempfang der Landeshauptstadt im Nikolaisaal

Stand:

Was für eine Gretchenfrage. Ist Potsdam Metropole – oder doch Provinz? Antworten darauf gab es gestern wohl so viele wie Sitzplätze im Nikolaisaal. In dem Konzerthaus waren mehr als 600 Potsdamer zum traditionellen Neujahrsempfang der Landeshauptstadt zusammengekommen. Der war, gemessen an anderen Jahren, gar nicht provinziell. Der „große Aufbruch“, von dem Oberbürgermeister Jann Jakobs sprach, schien fühlbar, auch die Diagnose von Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) bekam viel Beifall: Zu einer Stadt, in der ein Modeschöpfer und sein Radausflug im Schlosspark tagelang Gesprächsthema ist, könne man nur sagen: „Gesegnetes Potsdam – wenn das eure Hauptsorgen sind, dann seid ihr im Wesentlichen durch.“

Durch? Vielleicht durchs Mecker-Ossi-Jammertal, aber nicht gänzlich durch. Zum Glück, meint der Oberbürgermeister. Dass Potsdam eine „lebendige Stadt“ sei, habe sie vielen voraus, allein deshalb sei sie eine Metropole. Woraus sich die Lebendigkeit schöpft? Aus den Widersprüchen, alten und neuen, die „nutzbar“ gemacht werden für die Zukunft, so zumindest lautet Jakobs“ Potsdam-Philosophie. Vielleicht ist das tatsächlich der Weg zum Erfolg. Platzeck gratulierte den „Verantwortlichen und den Bürgern“ zur Entwicklung ihrer Stadt. Potsdam sei es zu großen Teilen zu verdanken, dass auch Brandenburg vorankomme. Selbst ein Lob für die Verwaltung gab es von Platzeck, der es einst als Oberbürgermeister im Rathaus selbst nicht immer leicht gehabt haben soll. Nun aber stellte er fest: So, wie Potsdam gedeihe, „können in der Verwaltung nicht nur dumme Leute sitzen“. Eine Anspielung auf den Battis-Untersuchungsbericht, der im vergangenen Jahr auf Anregung von Günther Jauch erhebliche Missstände in der Bauverwaltung zutage gefördert hatte.

Der TV-Journalist gehörte übrigens nicht zu den Empfangsgästen, auch Modeschöpfer Wolfgang Joop fehlte. Seinen ersten Auftritt als Wahl-Potsdamer – „diese Stadt hat das freundlichste Einwohnermeldeamt, das ich in meinem Leben kennen gelernt habe“ – auf großer Potsdam-Bühne absolvierte dagegen der Journalist und Literaturwissenschaftler Frank Schirrmacher. Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Autor des Sachbuchs „Das Methusalem-Komplott“, hielt eine kurzweilige Rede zum Jahresthema 2008 „Provinz und Metropole - Metropole und Provinz“. In Zukunft könne Potsdam wegen des demographischen Wandels eine „Vorbildregion“ werden, sagte er. Auch diese Stadt werde mit mehr alten als jungen Menschen eine „neue Geschwindigkeit leben“ und könne damit eine neue Bedeutung gewinnen.

So weit in die Zukunft wollte Oberbürgermeister Jakobs nicht blicken. Für dieses Potsdam-Jahr – politisch geprägt von der Kommunalwahl im Herbst – rief er zu Augenmaß und fairem Wahlkampf ohne gegenseitige Verletzungen auf. Am Ende müsse „Potsdam gewinnen“, rechtsextreme Parteien dürften keine Chance haben. Augenmaß sei auch gefragt bei der Debatte um den Landtagsneubau und dessen Gestalt, ebenso im neu entflammten Streit um die Regeln in den Parks der Schlösserstiftung. Jakobs forderte eine Annäherung der Fronten, dann würden „die Bürger in höherem Maße als bisher für die Parks Verantwortung übernehmen“. Dies müsse die Stiftung, „die die Parks ja im Auftrag der Gesellschaft verwaltet“, dann in ihre Konzepte einbeziehen. 75 Jahre nach der Machtergreifung Hitlers 1933 und dem so genannten „Tag von Potsdam“, als sich Hitler und Hindenburg vor der Garnisonkirche die Hände reichten und 70 Jahre nach der Reichspogromnacht 1938 wolle die Stadt mit dem neuen Potsdamer Toleranzedikt (PNN berichteten) ihre Erinnerungskultur pflegen. Die neue Broschüre dazu bekam jeder Empfangs-Gast überreicht.

Und die Gretchenfrage, Metropole oder Provinz? Auf die hatte Frank Schirrmacher die beste Antwort. „Potsdam ist größer als es ist“, stellte er fest. Damit sei alles gesagt. Und die Frage obsolet.

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