Homepage: Potsdamer wollen mitentscheiden
Ein Forschungsprojekt der Universität Potsdam hat sich mit dem Thema Bürgerhaushalt beschäftigt
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Bisher wurde das Thema Bürgerhaushalt nur in Kreisen der Kommunalpolitiker und Stadtverwaltung diskutiert. Aber wollen die Potsdamer überhaupt selbst über den Etat ihrer Stadt entscheiden? Ein gerade fertig gestelltes Forschungsprojekt der Universität Potsdam gibt Antworten.
In 150 Interviews haben sich Studierende der Universität Potsdam im Rahmen eines Forschungsseminars auf die Spur des Bürgerwillens gemacht. Befragt wurden Mitglieder von Vereinen, die in Potsdam aktiv sind. Die Erkenntnis: Während die meisten Befragten der Kommunalpolitik und Stadtverwaltung skeptisch gegenüberstehen, ist das Interesse am Bürgerhaushalt groß. Zwei Drittel würden gerne über die Verwendung der städtischen Gelder mitdiskutieren. Ein Viertel der Vereine würde sogar selbst Treffen der Bürger im Rahmen des Haushaltsprozesses organisieren wollen. „Es bestehen durchaus Potenziale, das Bürgerhaushalts-Modell in der Stadt Potsdam auszubauen“, stellen die Projektleiter Jochen Franzke und Prof. Heinz Kleger in ihrer Auswertung der Studie fest.
Allerdings vermissen die meisten Befragten bisher klare Informationen, was der Bürgerhaushalt in Potsdam eigentlich werden soll. „Dies wurde vor allem der mangelhaften Informationspolitik der Stadtverwaltung angelastet“, heißt es in der Studie. Die Bürger jedenfalls haben klare Vorstellungen. Sie wollen mehr Transparenz bei städtischen Entscheidungen. Ließe man sie entscheiden, würden sie zu mehr Kosteneinsparungen, vor allem in der Stadtverwaltung, tendieren. Eine Einahmensteigerung, etwa durch höhere Steuern oder Gebühren, wird dagegen eher abgelehnt.
Dass ein Bürgerhaushalt in der Praxis funktionieren kann, beweisen zahlreiche Beispiele aus dem Ausland, unter anderem Potsdams französische Partnerstadt Bobigny. Vorläufer des Trends ist die brasilianische Millionenstadt Porto Alegre. Dort dürfen die Bürger seit rund 15 Jahren über die Verwendung der städtischen Gelder mitbestimmen – und haben seitdem eine bemerkenswerte Entwicklung ihrer Stadt eingeleitet. Offenbar wussten die Betroffenen in den einzelnen Stadtteilen sehr viel besser, wo ihre Steuergelder sinnvoll angelegt sind. Im Vergleich mit anderen brasilianischen Metropolen schneidet Porto Alegre heute in vielen Punkten besser ab.
Das Beispiel mag die Potsdamer Kommunalpolitiker bewogen haben, das Thema des Bürgerhaushalts auf ihre Agenda zu setzen. Allerdings fürchten die organisierten Bürger, dass die Stadtverordneten nur einen „Pseudo-Bürgerhaushalt“ im Sinn haben, der zu eigennützigen Interessen missbraucht werden soll. Die Mehrheit der im Rahmen des Uni-Projektes ebenfalls befragten Ausschussvorsitzenden erwartet von den Bürgern auch „kaum realisierbare Haushaltsvorschläge“. Eher setzt man auf eine bessere Vermittlung des eingeschränkten Spielraums, den man selbst hat. „Leider ist der Bürgerhaushalt in Potsdam gegenwärtig in einem hohen Maß Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen, was das Verfahren zusätzlich beeinträchtigt“, kritisieren Franzke und Kleger. Auch die befragten Spitzen der Verwaltung kommen zu einem ähnlichen Schluss. Sie beklagen „die fehlende Steuerung durch die Politik, deren Engagement für den Bürgerhaushalt viel zu gering sei.“
Die befragten Bürger fordern deshalb eine neutrale Koordinierungsstelle für den Bürgerhaushalt, die über das Verfahren informiert und die Diskussion moderiert. Diese soll weder aus Politik oder Verwaltung gebildet werden, sondern aus „bekannten Bürgern der Stadt, die selbst keine Stadtverordneten sind“. Ähnliches hat in Porto Alegre gut funktioniert.
„Trotz der aufgezeigten Defizite sollte das sinnvolle Projekt des Bürgerhaushalts in Potsdam weiter geführt werden“, lautet die Empfehlung der Wissenschaftler. Dazu sei allerdings ein weiterer einvernehmlicher Beschluss der Stadtverordneten nötig, sowie „zusätzliche externe finanzielle Mittel“. Die Sozialwissenschaftler wollen ihre Arbeit jedenfalls fortsetzen. „Das ist ein hervorragendes Beispiel für die Verbindung von Lehre und Forschung“, sagt Heinz Kleger. Auch wenn die Koordinierung der rund 100 beteiligten Studenten nicht einfach war, wie er einräumt. „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Trotzdem ist bereits für das nächste Semester ein weiteres Seminar geplant. Diesmal sollen auch die nicht organisierten Bürger zu Wort kommen.
Die Studie ist beim Universitätsverlag Potsdam, ISBN 3-939469-21-1, erhältlich. Bestellung per E-Mail an kbaumann@uni-potsdam.de möglich.
Bodo Baumert
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