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Von Erhart Hohenstein: Potsdams Kachelmann
Wolfgang Rösler ist ohne „Herzhäuschen“ und fast ohne Kacheln, aber voller Engagement
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Einst führte er das „Herzhaus“ von Sanssouci – eine Pachttoilette für die Touristen, aufgestellt am Grünen Gitter. Später sorgte seine Kachelsammlung, ausgestellt im Hinterhof in der Lennéstraße 39, für Furore. Heute ist Wolfgang Rösler, 69 Jahre alt, engagierter Mieter in der Heinrich-Mann-Allee. Ein Potsdamer Original, nahezu stadtbekannt, und gern einmal auch unbequem.
Dass Rösler sich in seinem neuen Zuhause, einem alten Mehrfamilienhaus der Wohnungsgenossenschaft 1903 an der Heinrich-Mann-Allee beliebt und unbeliebt zugleich gemacht hat, liege an seinem unbeugsamen Ordnungssinn. Den führt der gebürtige Potsdamer auf die Mutter zurück, eine Trümmerfrau, der er als Kind in der Nachkriegszeit beim Steinestapeln half. In der Heinrich-Mann-Allee setzte Rösler mittlerweile die „Wiederaufforstung“ des von Autos zerfahrenen Grünstreifens der Wohnstraße vor der Haustür durch. Pflanzen spendierte das Grünflächenamt, von einer nahegelegenen Baustelle holte Rösler per Fahrrad überzählige Gehwegplatten.
Hinterm Haus hat Wolfgang Rösler die Zuordnung der verwilderten Flächen an die sieben Mietparteien angeregt und durchgesetzt. Wie zur Erbauungszeit bewirtschaftet nun wieder jede der meist jungen Familien ein kleines Gärtchen. Dort kann auch gegrillt werden, was zuvor manchmal unmittelbar neben der auf dem Trockenplatz aufgehängten Wäsche geschah. Wieder kann Rösler einen Konfliktpunkt abhaken, der bis zu einer Anzeige geführt hatte. Gleiches gilt für die stets offen stehende Haustür zum Hof. Hier hat der geschickte Handwerker nun einen Türschließer eingebaut, finanziert aus dem Austausch normaler gegen Sparglühlampen. Über einen solchen Ehrenamtler könnte sich jeder Hausverwalter freuen, meint Rösler, aber dem ist offenbar nicht so. „Neue Mieter sind sogar vor mir gewarnt worden“, entrüstet er sich. Vielleicht deshalb, weil er sich gegenüber einer zuziehenden Familie über Miethöhe und Wohnbedingungen geäußert hat. Daraufhin habe er von der Genossenschaft eine schriftliche Ermahnung erhalten.
Hat er Freizeit, sitzt Rösler in der Laube, die er sich im Hausgärtchen selbst gezimmert hat. Das luftige Bauwerk erinnert an die Stationen, die den gelernten Klempner in Potsdam stadtbekannt gemacht haben. Mit 22 Jahren wurde er beim Aufbau der Waldstadt und des Zentrums-Süd von der Lokalpresse als „Potsdams jüngster Baubrigadier“ gefeiert. Schon bald begann er historische Kacheln zu sammeln und im Hof seiner damaligen Wohnung in der Lennéstraße 39 auszustellen. Auf 800 bis in die Barockzeit zurückreichende Exemplare kam er, doch bald wurden es weniger. Zunächst musste er nach einem Unfall den Bauberuf an den Nagel hängen, dann trug ihm eine unvorsichtige Äußerung wegen „Herabwürdigung“ des DDR-Regimes eine hohe Geldstrafe ein. Die beglich Rösler aus dem Verkauf der wertvollsten Stücke, andere hat er später dem Potsdam-Museum geschenkt. Knapp 50 Kacheln behielt er, von denen ein Teil jetzt seine Laube schmückt. Dort liegt mitten auf dem Tisch ein Gästebuch aus dem „Herzhaus in Sanssouci“. So überschrieb die damals führende DDR-Wochenzeitung „Wochenpost“ eine ganzseitige Reportage über die Pachttoilette, die der nach seiner Verurteilung nicht als selbständiger Handwerker zugelassene Mann 1984 übernommen hatte. In dem Flachbau nahe dem Grünen Gitter gab es einen Platz zum Windeln, Töpfchen für die Kleinen, Näh- und Schuhputzzeug, Kaffee und klassische Musik. Im von ihm ausgelegten Gästebuch reihten sich lobende Eintragungen der Westtouristen aneinander. „Ich habe in ganz Europa keine Toilette gefunden, die so sauber geführt wird“, heißt es da.
1990 wurde Rösler gekündigt, das „Herzhaus“ abgerissen. Wenige Jahre später musste er seine Wohnung mit dem „Kachelhof“ aufgeben. Doch unterkriegen lässt sich Rösler nicht. Und manchmal erreichen ihn auch freudige Nachrichten. Dazu zählt, dass das politische Urteil aus der DDR-Zeit annulliert und er rehabilitiert wurde.
Erhart Hohenstein
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