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STATIONEN: Potsdams Wunden – Potsdams Perlen

„Potsdam erleben“: Erster PNN-Stadtspaziergang vom Neuen Markt über die historische Mitte zur Plantage: Förderverein Garnisonkirche zum Erfahrungsaustausch in Dresden / Landtagsneubau: Putz und Fassade nach historischem Vorbild

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„Sie stehen hier an historischer Stelle“, sagt Andreas Kitschke und kämpft mit seiner Stimme erfolgreich gegen den Verkehrslärm an der Breiten Straße an. Die vierzig Teilnehmer der PNN-Stadttour vom Sonnabend verharren ein wenig ehrfürchtig. Kitschke zeigt auf eine quadratische Grube: „Das ist die hintere Ecke der Garnisonkirche.“

Zwischen Plattenbauten, dem Giebel des im Krieg abgebrannten Langen Stalls und einer Garnisonkirchen-Staffage aus Stoff und Gerüststangen klafft eine der schmerzhaftesten Wunden Potsdams. Kitschke, maßgeblicher Mann im Förderverein zum Wiederaufbau der Garnisonkirche, ist sichtlich stolz auf den aufgemauerten Gewölbebogen: Der Anfang des Wiederaufbaus ist gemacht. Ein Plakat im Schaufenster des angrenzenden Fahrradladens zeigt den Bogen innerhalb des über 80 Meter hohen Turms des Gesamtbauwerkes. Ein winziges Teilchen.

Kitschke berichtet, dass er mit dem Förderverein am heutigen Montag in Dresden weilt. Die Sachsenhauptstadt mit der wieder aufgebauten Frauenkirche ist das große Vorbild. „Wir wollen uns dort präsentieren mit unserem Projekt“, sagt er. „Die Garnisonkirche ist halb so teuer wie die Frauenkirche und der Förderverein existiert erst zwei Jahre.“ Andreas Kitschke schöpft nicht nur daraus den Optimismus, dass der Wiederaufbau gelingen werde und Potsdam nicht nur ein kirchliches Versöhnungszentrum, sondern auch wieder seinen historischen Turmdreiklang erhält.

Der Leibkutscher Friedrichs des Großen Johann Georg Pfundt scheint von den Toten auferstanden zu sein. Mit der Peitsche fuchtelnd führt er die Stadtspaziergänger an bekannte und unbekannte Orte, erklärt mit wienerischem Akzent die Preußenmetropole. Schauspieler Gerhard Vondruska, der den Kutscher verkörpert, kann seine österreichische Herkunft nicht verleugnen. Er führt die Truppe über die Plantage zur Rückseite des Giebels vom Langen Stall: „Sie sehen hier den Abdruck des Daches vom Langen Stall.“ Der in Brand geschossene Fachwerkbau war es, dessen Feuersturm kurz vor Kriegsende die Garnisonkirche erfasste. Beim britischen Bombenabwurf auf Potsdam vom 14. April 1945 war ein Blindgänger in die Kirche gefallen, das Feuer brachte diesen zur Explosion und trug mit zur Zerstörung bei.

Anja Kriebel von der Nikolaigemeinde hatte den Altarraum mit der Darstellung der Evangelisten extra für die PNN-Besuchergruppe anleuchten lassen. Gemeinsam mit Christine von Below erzählt sie vom Wiederaufbau des im Krieg zerstörten bedeutenden klassizistischen Bauwerkes, das seit 1981 wieder als Kirche dient. Eine Teilnehmerin fragt Anja Kriebel, ob sie es richtig finde, dass die Garnisonkirche wieder aufgebaut werden soll. „Meine persönliche Meinung war gegen den Wiederaufbau, weil es für die Garnisonkirche keine Gemeinde gibt“, bekennt sie. Aber das sei nur die halbe Wahrheit. Als der Gewölbebogen wieder aufgebaut war, sprach sie mit einem älteren Ehepaar, das ihr gerührt berichtete, dass es zur Hochzeit durch eben diesen Bogen geschritten war. Es gebe also unterschiedliche Sichten zum Garnisonkirchen-Wiederaufbau.

Szenenwechsel: René Schreiter steht im Hof des „Knabenhauses“ des Großen Militärwaisenhauses und zeigt den Besuchern ein großes Foto vom brennenden Monopteros, der auf Säulen ruhenden Kuppel an der Lindenstraße. Eine seltene Aufnahme, die während des Beschusses mit sowjetischer Artillerie aufgenommen sei, erklärt der Historiker. Das im Krieg ebenso wie Schloss, Garnison- und Nikolaikirche und zahllose andere Bauten zerstörte Militärwaisenhaus ist keine Wunde mehr. Eher eine architektonische Perle. Das Treppenhaus mit seinen drei übereinander angeordneten Kuppeln gehört zu den schönsten Schöpfungen dieser Art in Europa. Viel Umsicht beim Wiederaufbau nach dem Kriege und das Engagement der Stiftung „Großes Waisenhaus zu Potsdam“ haben die im Jahre 2004 im Wesentlichen abgeschlossene Restaurierung und den neuen Monopteros möglich gemacht.

Inzwischen ist die Mittagszeit schon überschritten und René Schreiter deutet auf eine Giebelwand mit Säulen an der Spornstraße. „Hier befand sich der Speisesaal des Großen Militärwaisenhauses“, erklärt er und liest den Speiseplan für die Waisenkinder vor 125 Jahren vor: Mittagessen mit Hafergrütze und Wurst, Abendbrot mit Mehlsuppe und Butterstullen. Nach dem Abendbrot ging es ab in die großen Schlafsäle unter dem Dach, in denen im Sommer die Hitze stand und im Winter die Kälte unter die Bettdecken der Zöglinge kroch.

„Der Neue Markt, das ist der schönste Platz Potsdam“, hatte Gert Streidt, Geschäftsführer des Hauses der Brandenburgisch Preußischen Geschichte, zu Beginn des Stadtspaziergangs erklärt. Er führte vom Neuen hinüber zum Alten Markt, der mehr und mehr zur Schönheitskonkurrenz seines kleinen Bruders auf der anderen Seite wird. Gesa Haan, beim Sanierungsträger Projektleiterin für die Mitte, erklärt mit leiser Stimme in der roten Info-Box, wie es mit dem Verkehr und dem Aufbau des Landtages weitergeht. Ein gigantisches Projekt. Auf einer der Informationstafeln ist aus dem historischen Beschluss zum Landtagsbau zitiert: „Außenseitig werden Putz und Fassadenflächen nach historischem Vorbild vorgenommen.“ Attika und Figurenschmuck sollen über Spenden realisiert werden.

Noch weht der kalte herbstliche Wind ungebrochen über die Brache in der Mitte. Nach vier Stunden Wanderung ist das wärmende Foyer des Nikolaisaales ein willkommener Ruhepunkt. Zum Abschluss versorgt Gastronomin Katja Kahler die Spaziergänger mit Kaffee und Kuchen aus der Bäckerei Schröter. So gestärkt, äußern die Teilnehmer schon neugierige Fragen nach der nächsten Stadtspaziergang-Tour.

Der Alte Markt macht dem zurzeit schönsten Potsdamer Platz, dem Neuen Markt, immer mehr Konkurrenz: Die Kartusche mit Krone und Stadtwappen am Alten Rathaus ist erst vor zwei Monaten restauriert worden. In der roten Infobox auf dem Alten Markt hat der Sanierungsträger Potsdam Informationen über den Wiederaufbau der Stadtmitte samt Verkehrsführung zusammengetragen – Gesa Haan erläuterte sie. Aber es gibt noch viel mehr zu restaurieren. Das Brocksche Palais in der Yorckstraße, das der Telekom Immobilien gehört, sucht zum Beispiel einen neuen Nutzer und schreit nach Renovierung. „Ich hoffe, dass es bald so aussieht wie auf der anderen Seite des Stadtkanals“, bemerkte Stadtführer Gerhard Vondruska. Mit dem Stadtkanal soll es 2006 Jahr nur bescheiden weiter gehen. G.S.

Günter Schenke

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