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STIMMEN: Preußen-Hochzeit? Was die Potsdamer bewegte

Paul Scheidel ist arbeitslos und bittet am Bassinplatz um Spenden: „Gegen die Hochzeit habe ich gar nichts. Aber es dauert gar nicht lange, dann sind sie wieder geschieden.

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Paul Scheidel ist arbeitslos und bittet am Bassinplatz um Spenden: „Gegen die Hochzeit habe ich gar nichts. Aber es dauert gar nicht lange, dann sind sie wieder geschieden. Es hält doch nie lange was im Leben. Aber die haben ja genug Geld für die Scheidung“, sagt der 61-Jährige.

Gabriele Ritter liegt der Potsdamer Bürgerhaushalt mehr am Herzen als die Prinzenhochzeit: „Ob sie adlig sind oder nicht hat für mich keinen Wert. Heiraten ist schön, ich war ja auch einmal eine hübsche Braut. Nur war meine Hochzeit nicht so aufwendig.“

Wolfgang Cornelius, Stadtverordneter, sieht die Sache gelassen: „Die Hochzeit ist ein nettes Ereignis ohne jeden politischen Hintergrund. Weder die Hohenzollern noch deren Sympathisanten haben die Absicht, wieder eine Monarchie zu errichten. Die Gegendemo sehe ich als schönen Ausdruck unserer Demokratie. Anders verhält es sich mit dem Buttersäure-Anschlag in der Friedenskirche. Das war undemokratisch. Nach Gewalt gegen Sachen folgt nicht selten Gewalt gegen Personen.“

Oliver Lenz, „Preußenkönig“ der „Untertaneninitiative ,Mehr Monarchie wagen’“, ist kritisch: „Es ist gut, dass Preußen aufgelöst wurde, denn es hat viel Schaden angerichtet – vom Siebenjährigen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg. Ja, auch im Zweiten Weltkrieg bestand fast das ganze Offizierskorps aus Adeligen. Nicht richtig finde ich, dass das Prinzenpaar in Potsdam geheiratet hat. Die Symbolkraft gefällt mir nicht. Es gibt ganz klar eine Tendenz zur Remonarchisierung.“

Alfreda Henß aus dem schleswig-holsteinischen Eutin macht seit elf Jahren jeden Frühling in Potsdam Urlaub – jetzt ist sie mit ihrem Mann aber wegen der Hochzeit gekommen. „Klatschblätter lese ich nicht“, sagt die Blindenlehrerin, die schon früh um neun am Luisenplatz wartet. An blaublütigen Familien fasziniere sie die über Jahrhunderte hinweg bekannte Geschichte – anders als in der eigenen Familie: „Unsere Eltern waren Flüchtlinge, da gibt es nichts mehr.“

Man kann am Samstag in Potsdam natürlich auch ohne „von“ im Namen heiraten, so wie Alexander Bialojan, der seine Hochzeits-Gäste am Vormittag vor der Kirche St. Peter und Paul empfängt: „Jeder kann heiraten wie und wann er will. Die alten Zeiten sind vorbei. Ich freue mich jetzt auf meine eigene Hochzeit. Die Gegendemo finde ich eine kreative Art, mit der Sache umzugehen.“

Und noch ein Brautpaar, sogar im Park Sanssouci: Torsten und Franziska Köppel aus Babelsberg feierten bis in die Nacht im Café Drachenhaus. Von der Adelshochzeit hätten sie erst erfahren, nachdem der eigene Trau-Termin längst feststand, sagt der 34-jährige Bräutigam: „Für uns spielt das eigentlich keine große Rolle.“ 44 Verwandte und Freunde haben die beiden Call-Center-Kollegen eingeladen, in einem bordeauxfarbenen Chevrolet, Baujahr 1928, war das Paar vorgefahren. Drachenhaus-Wirt Peter Hortig ist verstimmt, weil er von der Straßensperrung erst in der Zeitung erfuhr: „Meine Lieferanten sind nicht durchgelassen worden, ich musste die Ware heute selber reinholen.“ gb/jaha

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