zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: „Pro Cento“

Wie Projektwochen gelingen können: Hundertprozentiger Einsatz von Schülern und Lehrern für das Jubiläumsfest der Babelsberger Goethe-Gesamtschule

Stand:

Projektwochen stehen bei Schülern hoch im Kurs. Mal kein klassischer Frontalunterricht, kein Stundenpensum, kein Zensurenstress. Stattdessen fünf Tage lang an einem Thema arbeiten, selbst bestimmen, wie und womit man zum Ziel gelangt. Klar, dass solch offene Arbeitsformen zum Schlendrian verführen. Richtig angepackt aber können Projekte einiges auf den Kopf stellen.

Einen solchen Ausnahmezustand organisierte sich in der vergangenen Woche die Goethe-Gesamtschule. Sämtliche Themen umkreisten die Zahl 100 und das bevorstehende Schuljubiläum: Wie lernte man vor hundert Jahren? Welche Schrift wurde geschrieben, welche Kleidung getragen. Wie haben sich die Unterrichtsmethoden verändert und wie das Verhältnis von Lehrern und Schülern? Von der ersten bis zur 13. Klasse trugen alle etwas zur Erhellung bei.

„Der Erfolg von Projektwochen steht und fällt mit der Initiative“, sagt Prof. Dieter Mette von Institut für Arbeitslehre und Technik an der Universität Potsdam. Diese erste Phase werde häufig unterschätzt oder von Vorstellungen der Lehrer dominiert, so seine Beobachtung. Die Schüler aber müssen selbst die Ideen entwickeln, um sich dann auch richtig ins Zeug legen zu können.

In der Goethe-Schule gelang das sogar in Mathematik. Für das Statistikprojekt „Pro Cento“ starteten die Schüler Umfragen, etwa zum Schulweg, zu Essgewohnheiten oder Musikvorlieben. Weil sie das Ergebnis selbst interessierte, war die Motivation groß, die Daten rechnerisch auszuwerten und im Diagramm darzustellen. Nur eine einzige Gruppe habe nicht richtig Tritt gefasst, resümiert Mathelehrerin Astrid Thorak. Identifizieren sich die Schüler nicht mit ihrer Aufgabe, brennen sie nicht für ihr Thema, dann entwickeln sie auch nicht die nötige Selbstdisziplin, so ihre Erfahrung.

Beim Erforschen der Schulhistorie bestand diese Gefahr kaum. Lisa Steitz und Désiré Braun aus der 11. Klasse fanden es spannend, auf dem Dachboden in alten Büchern zu stöbern, Berichte von vor hundert Jahren zu lesen. Sogar ein Flugblatt aus der Nazizeit fiel ihnen in die Hände, Wimpel von Pioniergruppen und uralte Tierpräparate. Plötzlich ist Geschichte ganz nah und der Lebensraum, in dem man sich täglich wie selbstverständlich bewegt, bekommt eine historische Dimension, sagt Geschichtslehrerin Raika Seipold.

Noch intensiver war die Begegnung mit ehemaligen Schülern, wie mit dem 80-jährigen Ernst Hahn, der hier ab 1937 zur Schule ging, bis der Krieg die Jungen wegholte. Gerührt stand er in der vergangenen Woche in der Direktorenwohnung, dort, wo heute die Schulbibliothek untergebracht ist. Nur ein einziges Mal durfte er diese für Schüler unzugänglichen Räume betreten, damals, als er aus den Händen des Direktors einen Atlas für ausgezeichnetes Betragen erhielt. Solche Zeitzeugenberichte machten die Recherchen erst lebendig. Viele der Ehemaligen brachten eigene Zeugnisse mit, auch Schulranzen und Schiefertafeln, die in der Festwoche zum Jubiläum ausgestellt werden.

Die Gruppe von Kunstlehrerin Astrid Woske ließ sich für die Konzeption dieser Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum inspirieren. Auch das ist wichtig in der Projektarbeit: die eigenen vier Schulwände zu verlassen, Institutionen in der Stadt zu besuchen, das Gesichtsfeld zu erweitern. Im Museum lernten die Schüler, wie man alle Sinne anspricht, die Exponate richtig positioniert und Schriften anordnet. Obendrein bekamen sie Vitrinen und Materialien und viele handwerkliche Tipps, denn schließlich soll am Ende jedes Projekts ein Produkt sichtbar sein. Neben der Ausstellung entstanden eine Festschrift mit DVD, eine historische Modenschau, ein neues Chorprogramm, gespielte Unterrichtsszenen, ein Zeitstrahl zur Schulgeschichte, Dokumentationen und Wandzeitungen. Jedes Projekt trug etwas zum „Gesamtkunstwerk" bei, das in der Festwoche Ende März präsentiert wird. „Öffentlich und möglichst auch vor den Eltern“, fordert Prof. Mette. Nur so erfahren die Schüler die nötige Anerkennung.

Eine Generalprobe erlebten sie bereits in der vergangenen Woche, als der Förderkreis Nowawes in seiner Reihe „Babelsberger Köpfe" den historischen Schulstandort besuchte. Jens Bosewe aus der 10. Klasse führte die Gäste durch beide Gebäude, durch das restaurierte Beethoven-Haus mit modernen Computerkabinetten und dem „Schönsten Kunstraum Brandenburgs“ mit Oberlicht und Dachterrasse, aber auch durch das 1907 eröffnete Goethe-Haus, in dem der Putz von den Wänden bröckelt, Kritzeleien von Schülergenerationen überdauert haben und schwarzer Staub in den Gardinen hängt. Für die Jubiläumsfeier wird die Aula unter dem Dach noch ausgeschmückt werden. Nichts aber wird darüber hinwegtäuschen, dass das Gebäude dringend der Renovierung bedarf. Soll es auch nicht. „Wenn ein Projekt gut ist“, sagt Prof. Mette, „dann muss es sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen und problemhaltige Begegnungen ermöglichen.“ Das scheint hier garantiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })