Von Lene Zade: Protest reloaded
Am Potsdamer Einstein Forum fragte man in einem Workshop nach der Wandlungsfähigkeit des Protestsongs
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Er ist nicht sonderlich beliebt, der Protestsong. Musikalisch belanglos, belehrend und unsexy bietet er das Gegenteil von individualistischer Selbstdarstellung, nämlich die Vereinnahmung. Teil einer Bewegung zu sein – wer will das schon?
In fünf sehr unterschiedlichen Annährungen bzw. Abgrenzungen wurde in der vergangenen Woche in einem Workshop im Einstein Forum nach der Relevanz des Protestsongs gefragt, nach seiner sozialen Funktion und musikhistorischen Bedeutung. Ausgerechnet Bob Dylan, der zeitweise als die Inkarnation des Protestsängers überhaupt wahrgenommen wurde, lehnte diese Vereinnahmung 1965 ab und wandte sich der elektrischen Gitarre und sprachlichen Ambivalenz zu. Womit die Gattung des Antiprotestsongs in der Welt war. Joachim Scheiner machte mindestens sieben Typen des Protestsongverweigerns aus, vom Zweifel über Sarkasmus bis hin zur hedonistischen Umformung in verkitschten Coverversionen. Als gruselige Sonderform des Protests gegen den Protestsong erklang Freddy Quinns „Wir“ von 1966, eine Tirade gegen „Gammler“ und Nein-Sager.
Dann doch lieber die Artikulation von Widerstand im verzupften Klampfenstil. Aber es geht auch anders. Eröffnet wurde der Workshop von Martin Schaad mit einer Basslinie, die zu einer akustischen Ikone des linken Widerstandes gegen staatliche Willkür wurde. „Guns of Brixton“, eingespielt 1979 von der Punkband The Clash. 16 Monate nach Veröffentlichung wurde das Lied, das die Lebensumstände jamaikanischer Migranten thematisiert, zum Soundtrack der Brixton-Riots. Die durch rassistische Übergriffe der Polizei ausgelösten blutigen Straßenkämpfe machten den Song erst zu dem breit rezipierten – und unendlich oft gecovertenProtestsong, als der er heute noch in Erinnerung ist.
Protest reloaded – warum erzeugen die jüngsten Bürgerproteste gegen Stuttgart 21, gegen die Castortransporte und bewohnerunfreundliche Flugrouten keinen eigenen Sound, keine Wutsongs, wie noch die Hausbesetzerszene in den 80er Jahren, fragte sich der Musikjournalist Hartwig Vens. Er sieht, wo er hinhört, nur Ironie und Kommerzialisierung am Werke. Da, wo Protest dennoch laut behauptet werde, etwa von der tamilisch-US-amerikanischen Musikerin M.I.A., stelle sich Unbehagen ein, ob der nationalistischen, sexistischen und homophoben Tendenzen in den Befreiungsbewegungen, für die die Sängerin Partei nimmt. Aber er lebt dennoch, der totgeglaubte Protestsong. Nur an ganz anderen Enden der Welt, in Tunesien zum Beispiel, in den Stücken des Rappers El Général. Das aktuelle Weltgeschehen, so scheint es, hebt die Skrupel gegenüber dem Protestsong auf.
Dessen ungeachtet attackierte ihn der Musiker Kristof Schreuf auf das Heftigste. Protestsänger seien Propagandisten, autoritäre Figuren, die strukturell von jeher konservativ seien. Was sich nicht nur in der Verweigerung gezeigt habe, Musik mit elektrischem Strom zu versorgen, um die sogenannte Authentizität zu wahren. Diese uncoole Haltung des Bewahrens lasse den Protestsänger nach rechts rücken. Pop hingegen sei immer schon unauthentisch, das emphatische „Ja“, wo Protestlieder immer nur „Nein“ skandierten. Die Rettung des Protests wäre die Kunst, „Nein“ im „Ja“ zu sagen. Sophistischer lässt sich das „Nö“ zum politischen Handeln kaum ausdrücken.
Vielleicht ist es aber doch so, dass der Mensch in seinem unauthentischen Körper mit ganzem Herzen Popmusik lieben kann, all die queerness, campiness und Schrägheit in ihr und dennoch – oder gerade darin – das Glück, einer von vielen zu sein. Denn das „Ja“ zum Pop ist immer auch ein „Ja“ zu einer Gemeinschaft – und seien es die anderen im Konzert oder auf der Tanzfläche. Und auch wenn soziale Bewegungen durchaus zu Recht der Ruch politischer Instrumentalisierbarkeit anhaftet, können sie doch auch Orte solidarischen Handelns sein. Was in der Popkultur unserer Tage dringend gebraucht wird, denn immer mehr Klubs müssen wegen Gentrifizierungstendenzen schließen. Und wer tanzt schon gern allein?
Lene Zade
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