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Im Gespräch. Oswald Wiener.

© A. Klaer

Homepage: Protest und Denken

Der Philosoph Oswald Wiener an der Uni

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Matratzen und Schlafsäcke lagern im Audimax der Universität Potsdam. Studenten haben den Hörsaal besetzt, stapeln ihre Essensvorräte. Ein Ende des Uni-Streiks ist nicht absehbar. Das sympathische Chaos stört Oswald Wiener nicht. Das Einstein Forum hat ihn als Gastdozent an die Universität eingeladen.

Der emeritierte Professor für Ästhetik und professionelle Jazzmusiker hat schon ganz anderes Durcheinander erlebt. Als „große Uni-Ferkelei“ ging eine Protestaktion aus dem Jahr 1968 in Wien in die Analen der Studentenbewegung ein. Das historische Uni-Happening muss eine ganz andere Dimension gehabt haben als der heutige Protest. Dieter Mersch, Medienwissenschaftler an der Universität Potsdam spricht in seiner Einführungsrede zum Vortrag von Wiener von „Nacktheit, Gotteslästerung, Onanie, Auspeitschung und anderen Unzüchtigkeiten“. Jedenfalls war der Künstlerkreis der „Wiener Aktionisten“ beteiligt, der bekanntlich großspurig über Tabus aller Art hinweg gewalzt ist. Der anschließenden Gefängnisstrafe entzog sich Wiener durch ein Flucht nach Berlin. Nach einem Intermezzo als Kneipenwirt promovierte er in Mathematik.

Vor seiner Karriere als Informatiker hatte Wiener sich bereits literarisch Gedanken über künstliche Welten gemacht. „Die Verbesserung von Mitteleuropa“, forderte er in einem labyrinthisch verschachtelten Roman. Die Verbesserung ist offensichtlich nicht gelungen. „Träume brauchen Freiräume statt Lernfabriken“, verkündet ein Spruchband im Hörsaal.

Weit entfernt von derart weltlichen Problemen sind die Fragen, die Wiener in seinem Vortrag stellt. Ging es zunächst um „Intelligenz und Intelligenz-Attrappen“, so sinniert er nun über das Verhältnis des menschlichen Denkens zu den Rechenoperationen einer Maschine. Die Fähigkeit des Menschen zur Selbstbeobachtung sei eine notwendige Voraussetzung für das Denken, stellt Wiener fest, ohne Reflektion kein Geist. Mit diesem Ansatz geht er in Konfrontation zu Wissenschaftlern, die Denken und Intelligenz als reine Informationsverarbeitung begriffen hatten, die in einer möglichst umfassenden Fähigkeit zur Ausführung von Rechenoperationen gipfelt.

Auch wenn sich der Mensch seines Denkens nicht bewusst sei, so sei menschliches Denken doch mehr als ein Aneinanderreihung von Zeichen. Diese zeige sich beispielsweise im Traum, jedenfalls beim Menschen. Im Schlaf wisse man mehr, als man zunächst vermuten würde. An dieser Stelle des Vortrages hebt ein weiß-braun gescheckter Hund, der zusammen gerollt auf einem Stuhl auf dem Podium schlummert, kurz den Kopf und nickt dann wieder ein.

„Ich habe geträumt, dass ich mit meiner Frau auf eine Eisenbahn warte“, fährt Wiener fort. Die Bahn sei gekommen, aber überfüllt mit Koffern gewesen, nur seine Frau, nicht aber er habe hinein gepasst. An der Rückseite der Lokomotive habe sich dann doch ein Einstieg gefunden. Allerdings habe er sich dabei während der Fahrt aus dem Zug lehnen müssen. „Das wird aber kalt“, habe Wiener gedacht. Erstaunlich sei das Wissen Wieners um das Wesen des Transportmittels gewesen, erläutert der emeritierte Professor. „Denn das sah aus wie ein großer grüner Schuh, aber ich wusste, es ist eine Lok.“ Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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