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Von Jan Brunzlow: Protokolliert

16 Tage und Nächte getagt – für 13 Euro je Sitzung

Stand:

Das Protokoll verzerrt die Realität: „Im Anschluss an das Abstimmungsergebnis äußern sich  im Rahmen einer persönlichen Erklärung zum Abstimmungsverhalten.“ Der genaue Wortlaut am Abend des 14. November 2006 wird nicht überliefert. Und auch nicht mehr zu hören sein. Denn die obligatorischen Tonaufnahmen aus dem Potsdamer Stadtparlament, die die emotionalen Reaktionen nach der zweiten gescheiterten Abstimmung zum Bebauungsplan für den Landtag am Alten Markt dokumentieren, sind vernichtet. „Sie werden nach Bestätigung des Protokolls der Sitzung gelöscht“, sagte Heike Ziegenbein, Büroleiterin der Stadtverordnetenversammlung, gestern auf einer Pressekonferenz zur abgelaufenen Legislaturperiode der Stadtverordnetenversammlung. Die Gemeindeordnung schreibe die Vernichtung dieser Dokumente des Zeitgeschehens vor.

Die Brandrede von Steeven Bretz (CDU), die er nach dem zweiten Dilemma der Abstimmung am 14. November gehalten hat und in der er die unbekannten Abweichler in der „Schlosskoalition“ aus SPD, CDU und Bündnisgrüne als Schande bezeichnete, ist somit für immer gelöscht. In der Statistik der letzten fünf Jahre der Stadtverordnetenversammlung ist die Vorlage B-Plan Landtagsneubau eine von mehr als 5000. Aber es war wohl eine der schwierigsten Debatten und Entscheidungen neben dem Niemeyer-Bad. Drei Anläufe, unzählige Stunden debattieren, geheime Abstimmungen und ein Deal mit den Linken wurden benötigt, um den Bebauungsplan für den Landtag auf den Weg zu bringen. Es war eine der Debatten, die auch der Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung, Birgit Müller, in Erinnerung geblieben ist. Die letzten fünf Jahre hat sie auf dem Podium über den anderen 49 Stadtverordneten gesessen und mit ihnen statistisch gesehen 16 Tage und Nächte im Sitzungssaal verbracht. „Der Ton ist dabei nicht unbedingt besser geworden“, zog sie gestern eine kurze Bilanz der Legislaturperiode, die am Sonntag mit der Kommunalwahl enden wird. Sie erklärte, die Stadt sei in dieser Zeit wieder ein Stück „lebens- und liebenswerter“ geworden.

Und über eine Sache muss sie heute noch schmunzeln. An einem Tag im Jahr 2005 waren die sonst als Dauerdebattierer und für ihr Sitzfleisch bekannten Potsdamer Kommunalpolitiker schneller als üblich. Um 13 Uhr beginnen die monatlichen Sitzungen, oft dauern sie bis 22 Uhr. An jenem Tag endete sie jedoch bereits 17.45 Uhr – der für 18 Uhr geplante Probealarm der Feuerwehr musste dadurch ausfallen.

An diesem Tag hatten die Stadtverordneten innerhalb von 4 Stunden und 45 Minuten 13 Euro verdient. Denn so viel bekommt ein Stadtverordneter für jede Sitzung oder jeden Ausschuss, an dem er mindestens 30 Prozent der Gesamtzeit teilnimmt. Ein Kommunalpolitiker bekommt 195 Euro monatlich pauschal, die Fraktionschefs erhalten zusätzlich 180 Euro, die Präsidentin 615 Euro zu den Pauschalen. Alles muss versteuert werden. Insgesamt gibt die Stadt jährlich zwischen 285 000 und 300 000 Euro für die Stadtverordnetenversammlung aus.

Rein theoretisch könnten die Stadtverordneten ihre Aufwandsentschädigung nach Belieben erhöhen, sagte Heike Ziegenbein. Denn es gebe seitens des Landes keine Richtlinie mehr, in der die Sitzungsgelder festgelegt werden. Und die neue Stadtverordnetenversammlung, die aus dann 56 Stadtverordneten bestehen wird, muss für sich selbst eine neue „Entschädigungssatzung“ beschließen. Die Tondokumente, in der diese Debatte aufgezeichnet werden, würde allerdings nie jemand hören können. Denn sie werden ja kurz darauf vernichtet.

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