Landeshauptstadt: Prüfungsfrage Heringsdorf
Ehemalige der Alexandrinenschule feiern 60 Jahre Abi
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Wenn sich Dieter Knopp an seine Abiturprüfung im Jahr 1950 erinnert, fällt ihm „Heringsdorf“ ein. Damit meinte der Prüfer in Gegenwartskunde, ein 40-jähriger Lehrer im blauen FDJ-Hemd, aber keineswegs das Ostseebad. „Heringsdorf“ hieß ein auf der Westberliner Seite der Glienicker Brücke eingerichteter Markt. Hier verkauften die Händler im Osten fehlende Lebensmittel, Südfrüchte und eben auch Heringe an die Potsdamer. Die mussten dazu Ost- in Westmark umtauschen.
Die vom FDJ-Lehrer gestellte Frage „Was halten Sie von Heringsdorf?“ muss Knopp am 13. Juni 1950 wohl geschickt beantwortet haben, denn er bestand die Reifeprüfung. Dieses nun 60 Jahre zurückliegende Ereignis ist Anlass für ein Klassentreffen in Potsdam. Noch zehn der einst 26 Abiturienten, mittlerweile mindestens 78 Jahre alt, nehmen daran teil. Merkwürdigerweise befinden sich mehrere Männer unter den Absolventen der „3. Städtischen Oberschule für Mädchen, sprachliche Form“. Als die Einstein-Oberschule 1948 ihren „Sprachenzweig“ auflöste, mussten nämlich dessen Schüler in die Mädchenschule in der Alexandrinenstraße (heute Helene-Lange-Straße) wechseln. Neben Knopp gehörte dazu auch Christian Runge, heute ein in Saarbrücken lebender Jurist. Er wird bei seinem Potsdam-Besuch sicher an seinen Bruder Peter Runge denken, der 1946 als 15-Jähriger vier Jahre in einem sowjetischen Speziallager interniert worden war, weil er wie andere Schüler der Einstein- Oberschule als Protest gegen die undemokratische Entwicklung in Ostdeutschland zur Maidemonstration 1946 eine weiße statt einer roten Nelke getragen hatte.
Für die Abiturientengruppe hat Christa Heckmann mit Dieter Knopp ein Programm vorbereitet, das auch den Besuch der Villa Quandt mit dem Fontanearchiv, des Belvederes auf dem Pfingstberg, eine Schlösserrundfahrt und ein Abendessen im Theaterrestaurant an der Schiffbauergasse vorsieht. Auch im Potsdam von heute kennen sich die Jubilare gut aus, besuchen sie doch seit der Wiedervereinigung immer wieder ihre alte Heimatstadt. Im Jahr 2000, zum 50-jährigen Abitur, wurden sie vom damaligen Oberbürgermeister Matthias Platzeck empfangen. Seinerzeit statteten sie auch ihrer alten Schule einen letzten Besuch ab, dann wurde sie aufgelöst. Die Verwaltung hat dort die Kfz-Meldestelle untergebracht.
Der Schulstandort blickt auf eine interessante Geschichte zurück. Hier hatte Magdalena Butte ein nobles Privatlyzeum eingerichtet, das trotz hohen Schulgeldes beträchtliche Fördermittel von der Stadt erhielt. Dagegen machte sich 1924 der SPD-Stadtverordnete Wilhelm Staab stark und erreichte, dass das Lyzeum 1928 in städtischen Besitz überging. 1960 wurde sie die erste Potsdamer Schule mit Ganztagsbetrieb („Tagesschule“). Seit 1992 Alexandrinen-Grundschule (Prinzessin Alexandrine war die Schwester Kaiser Wilhelms I.), wurde sie 2001 aufgelöst.
Wie in den 1950er Jahren typisch, ging ein beträchtlicher Teil der Abiturienten in den Westen. Auch Dieter Knopp wählte schließlich diesen Weg. Zuvor hatte er in Potsdam Kfz-Mechaniker gelernt, da er als Nichtmitglied der FDJ keinen Studienplatz erhielt. Nach seiner Flucht absolvierte Knopp ein Studium zum Maschinenbauingenieur. Heute lebt er in Berlin. „Doch ob meine Klassenkameraden in den Westen übergesiedelt oder im Osten geblieben sind, aus allen ist etwas geworden“, sagt der Diplomingenieur nicht ohne Stolz. Allein unter den zehn Teilnehmern des Jubiläumstreffens haben drei den Doktortitel als Philologen oder als Jurist in der Tasche. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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