Landeshauptstadt: Prügel für den Häftling
Der Braunschweiger Wolfgang Becker sprach über seine Leidenszeit im Potsdamer KGB-Gefängnis
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Wolfgang Becker trat am 28. August 1947 in Braunschweig eine Zugfahrt nach Freiberg/Sachsen an, um im Krieg bei den Großeltern eingelagerte Kleidung und andere Sachen abzuholen. Von dieser Reise sollte der 22-Jährige erst nach neun schlimmen Jahren zurückkehren. In Halle/Saale als Zwischenstation nahm er das Übernachtungsangebot eines bei den sowjetischen Besatzern beschäftigten Elektrikers an. Ihm gegenüber äußerte sich Becker kritisch zum Kommunismus. Als er sich am nächsten Tag an der Kaserne von dem vermeintlichen Kumpel verabschieden wollte, wurde er von den Russen verhaftet.
Jetzt berichtete Becker in Potsdam über seine Leidenszeit. Dazu wurde er von Richard Buchner befragt, dem Vorsitzenden des Fördervereins der Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße. Hier wurde Becker am 15. September 1947 eingeliefert. Er musste sich nackt ausziehen und erhielt eine Tracht Prügel. Auch während der stets nachts stattfindenden Verhöre wurde er geschlagen, häufiger von den Dolmetscherinnen als von den Offizieren. „Ljuge, Ljuge (Lüge)“, brüllten sie, wenn er verneinte, ein Spion zu sein.
Eines Tages hörte Becker aus der Kellerzelle gegenüber das verzweifelte Weinen eines jungen Mädchens. „Mutti, Mutti, 25 Jahre!“ schrie sie immer wieder. Am 27. November wusste er, was diese Schreie bedeuteten. Da wurde auch er, auf einem Schemel sitzend, in der mit Lenin- und Stalinreliefs geschmückten Kapelle des Augusta-Stiftes vom sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Arbeitserziehungslager verurteilt – wegen Spionage, antisowjetischer Hetze und Werwolf-Tätigkeit – von der NS-Partisanentruppe hatte er bis dahin nicht einmal gewusst. Zu Last gelegt wurde Wolfgang Becker auch die Angehörigkeit zur Waffen-SS. Er hatte das Pech, als Soldat ab 1942 bei den auf die altpreußischen Schwarzen Husaren zurückgehenden Goslarer Jägern zu dienen, die einen Totenkopf an der Mütze trugen.
Wahrscheinlich wegen seiner schwachen Konstitution wurde Wolfgang Becker nicht ins sibirische Kohlebergwerk Workuta deportiert, sondern verbüßte seine Strafe in Bautzen. Anfang der 1950er Jahre beteiligte er sich an einem Gefangenenprotest und wurde durch einen Volkspolizisten mit einer Stahlrute schwer am Schädel verletzt. Erst im August 1956 wurde Becker in seine Heimatstadt Braunschweig entlassen. Beruflich brachte er es später bis zu einer hohen Stellung bei Karstadt.
Für das dritte Zeitzeugengespräch dieser Art hatte erneut das Brandenburgische Literaturbüro einen Raum in der Villa Quandt zur Verfügung gestellt. Die KGB-Gedenkstätte blieb dem Verein auch diesmal verschlossen, doch war erstmals deren Leiterin Ines Reich zu dem Gesprächsabend gekommen. Über die Differenzen zwischen der Gedenkstätte und dem Förderverein, der eine Konzentration auf die Opferschicksale und erweiterte Öffnungszeiten fordert, wurde nicht gesprochen. Buchner wies Medienberichte zurück, laut dem der Verein aus der Sicht der Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung durch den „an Kleinigkeiten aufgehängten Streit den Zugang zu bereits gesammelten Dokumenten und den Kontakt zu den hochbetagten ehemaligen Häftlingen“ blockiert.
Für die Dauerausstellung, die im Sommer nächsten Jahres eröffnet werden soll, befragt die Gedenkstätte zurzeit alle noch lebenden Opfer. Gleichgeartete Forschungen betreibt seit Jahren die Opfervereinigung „Memorial“. Der Berliner Publizist Dirk Jungnickel, der gemeinsam mit dem früheren Häftling Bodo Platt eine Zeitzeugeninitiative gegründet hat, hat nunmehr im Auftrag des Vereins Videoporträts der Opfer gedreht. Eine Vereinigung dieser Anstrengungen könne sinnvoll sein, hieß es. Sie ist aber wegen der unterschiedlichen Auffassungen über das Gedenkstättenkonzept bisher nicht zustande gekommen. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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