POSITION: Quo vadis Potsdamer Mitte ?
Die Wiedergewinnung der Mitte ist unvereinbar mit dem Erhalt des Staudenhofs Von Christian Seidel
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Natürlich – nichts ist für die Ewigkeit, auch nicht Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung Potsdam. Aber es ist doch verwunderlich, wenn das vor 15 Monaten mit qualifizierter Zweidrittel-Mehrheit beschlossene Instrument zur Wiedergewinnung der Mitte in einer Ad-hoc-Entscheidung zur Disposition gestellt wird. Nach intensiver Diskussion, Workshops und Befassung in mehreren Fachausschüssen wurde am 1. September 2010 das Leitbautenkonzept verabschiedet. Dort wird festgestellt: „Die historischen Platz- und Straßenräume der Potsdamer Mitte ... bilden durch geometrische Bezüge und verbindende Gemeinsamkeiten ... eine harmonische städtebauliche Komposition, ein Werk der Stadtbaukunst von europäischer Bedeutung. Dieses Kunstwerk soll möglichst weitgehend wiederhergestellt werden.“ „Grundlage für den Wiederaufbau ist der historische Stadtgrundriss und die Maßstäblichkeit im Aufriss, die durch Parzellierung und Höhenentwicklung sicherzustellen ist.“ Das ist ein weit gefasster Rahmen, der vieles zulässt, aber eben nicht alles!
Spätestens mit dem Beschluss der SVV vom 3. Mai 2006 zu den Ergebnissen der damaligen internationalen Planungswerkstatt - an Hand unterschiedlicher Entwürfe wurde auch Pro und Contra des Staudenhofs ausführlich diskutiert – stand fest, dass das formulierte Ziel unvereinbar mit der Erhaltung des dortigen Wohnblocks ist. Das Gebäude ordnet sich weder in seiner Lage in den historischen Stadtgrundriss ein noch nimmt es in seinen Dimensionen einen Bezug zur Maßstäblichkeit im Aufriss. Darüber hinaus ignoriert es den Umgebungsschutz des Denkmals Nikolaikirche. Deshalb ist der zukünftige Abriss Bestandteil des Leitbautenkonzepts.
Auf welche städtebauliche Idee geht der Block am Staudenhof zurück? In einer 1969 im Aufbau Verlag erschienenen Reisebeschreibung berichtet Joachim Seyppel im Kapitel „Das neue Potsdam“ von den Eindrücken im Büro des Stadtarchitekten: „Der Architekt ... zeigt auf eine Planskizze an der Wand. ’Wir bauen eine neue Stadt mit einem neuen Zentrum. ... Das neue Potsdam wird man nicht nur kaum mit dem alten vergleichen können, es wird auch ein alter Potsdamer darin so fremd sein, trotz Sanssouci, trotz Rathaus, trotz Langer Brücke, wie wir im Urwald.’ ’Ein wenig’, sage ich, ’gruselt mir bei dieser Vorstellung.’“ Das Gruseln hatte sich Ende der 1980er Jahre in Potsdam so verbreitet, dass es ein Antrieb zum Protest wurde. Die neugewählte Stadtverordnetenversammlung bekannte sich deshalb frühzeitig zur grundsätzlichen Stadtreparatur und beschloss 1990 die „Annäherung an den historischen Stadtgrundriss“.
Dies wurde seither konsequent verfolgt - mit schwierigem Abwägen, bisweilen für den einen zu zögerlich und für den anderen zu weitgehend, aber doch zeigte der Kompass immer in die richtige Richtung. Mit einer Garantie für den Staudenhof würde diese Ausrichtung verlorengehen. Das Potsdamer Wohnungsproblem wäre zwar nicht substantiell verändert (wie viel sind 180 Wohnungen zu jährlich erforderlichen 1 000 Wohnungen?), aber die Umsetzung des Leitbautenkonzepts könnte ad acta gelegt werden. Welche Bauherren sollten vis-à-vis des siebengeschossigen, monolithischen Blocks kleinteilig parzellierte Stadthäuser mit maximal vier Geschossen und Dach, gegebenenfalls auch mit historischer Leitfassade bauen und welches Ensemble sollte hier entstehen? Die Leitbauten wären einer Hauptfunktion beraubt, den Maßstab für neue Bebauung zu setzen! Deshalb kann ich nur hoffen, dass die gegenwärtige Irritation schnellstmöglich ausgeräumt wird und die Stadt Potsdam zu verbindlichen Aussagen über die Entwicklung ihrer Mitte zurückkehrt.
Christian Seidel war Stadtverordneter der SPD und viele Jahre Vorsitzender des Bauausschusses
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