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Homepage: Raubbau der Ressourcen
Lateinamerikas Wirtschaft strotzt vor Dynamik – aber auch vor sozialen Spannungen. Eine Konferenz am Potsdamer IASS
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Lateinamerikas Wirtschaft boomt und wartet mit Wachstumsraten auf, die in Europa schon lange nicht mehr erreicht werden. Südamerikanische Staaten hätten ein „gutes Gleichgewicht zwischen Markt und Staat gefunden,“ stellte der Vizeaußenminister Aguiar Patriota in einem Interview mit dem Journalisten Sebastian Schoepp fest. Schoepp war Ende vergangener Woche zu einer Konferenz an das Potsdamer Institut for Advanced Sustainability Studies (IASS) gekommen.
Zahlreiche Fachleute vorwiegend aus Lateinamerika besprachen „neue Konzepte für die Nachhaltigkeit in Latein Amerika“. Die kultur- und religionsgeschichtlichen Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklungen in Lateinamerika unterschieden sich grundlegend von denen anderer Staaten, meinten die Fachleute. „In Lateinamerika besteht jetzt die Möglichkeit nach der Bedeutung und den Qualitätskriterien für wirtschaftliches Wachstum zu fragen“, meinte Klaus Töpfer, der Gründungsdirektor des IASS.
Die künftige Entwicklung Lateinamerikas müsse nicht zwangsläufig diejenige Europas kopieren, betonte auch Constantin von Barloewen, der Mitglied der „Harvard Academy for International and Area Studies“ ist, und die Konferenz organisiert hatte. „Die Fehler Europas und Amerikas vor 30 oder 40 Jahren, die Fokussierung auf Gier und Konsum, müssen sich in Lateinamerika nicht wiederholen“, betonte Barloewen.
Recht anschaulich malte Yuri Amaya Guandinango Vinueza, die sich in zahlreichen NGOs und Initiativen von Indigenen in Lateinamerika engagiert, das Bild eines Kontinents, der schon in 20 oder 30 Jahren eine höhere Wirtschaftsleistung als Europa erreichen könnte. Vinueza malte aus, wie sich in lateinamerikanischen Staaten Protest regt, wenn Urwald dem Kohleabbau weichen und die Ökologie in den wachsenden Wassermassen neu errichteter Stauseen ertrinken soll. Das seien zwar keine wirklich flächendeckenden Bewegungen, aber das Engagement der Menschen zeige, dass sich ein Bewusstsein auch für die Schattenseiten der prosperierenden Ökonomie herausbilde. „Brasilien versucht sich als ökologischer Musterknabe darzustellen, der seine Energie zu etwa 45 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen bezieht. Aber da ist auch ein wenig ‚green washing’ mit im Spiel“, schränkt Manuel Rivera, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IASS ein. „Brasilien ist die Wahnsinnswachstumslokomotive in Südamerika. Es wäre nicht schlecht, wenn sich Brasilien ein Beispiel an Ecuador nehmen würde“, hofft Rivera. Der mittelamerikanische Staat habe seit kurzem in seiner Verfassung den Schutz der Natur verankert. Darauf könnten sich Bürger dann berufen, wenn sie die Ökologie durch Raubbau gefährdet sehen. Wie effektiv dieser Schutz sei, müsse sich allerdings noch erweisen, denn ob entsprechende Verwaltungs- und Gerichtsverfahren wirklich durchsetzbare Rechte garantieren würden, stehe noch nicht fest. Jedenfalls aber zeige sich schon in der rechtlichen Regelung, dass die Bedeutung der Naturschätze erkannt worden sei.
Rivera verweist auch auf das Yasuni Nationalpark Projekt in Ecuador. Dort befindet sich ein erhebliches, noch nicht ausgebeutetes Ölvorkommen unter einen Urwaldgebiet, in dem bisher eine indigene Bevölkerung sein naturverbundenes Leben weitgehend unbehelligt gestaltet. Die Politik Ecuadors ist in zwei Lager gespalten. Während der Präsident am liebsten sofort mit dem Raubbau beginnen möchte, trat 2010 ein erheblicher Teil seines Kabinetts zurück, als der Landeschef eben dies ankündigte. Die internationale Staatengemeinschaft denkt über die Forderung des Landes nach, einen Ausgleich dafür zu zahlen, dass der Raubbau der Ressourcen unterbleibt. Fraglich sei allerdings, ob ökologisches Bewusstsein wirklich auf einer veritablen Erpressung gedeihen kann, wirft Rivera ein.
Auf eine weitere Problematik Südamerikas verweist der Journalist Sebastian Schoepp. An der Grenze zwischen USA und Mexiko tobe der Drogenkrieg und die sozialen Spannungen innerhalb der Wachstumsökonomien seien noch längst nicht beseitigt. Dennoch habe aber gerade Brasilien in der vergangenen Jahren ein Beispiel dafür geliefert, dass eine Politik sozialen Ausgleichs in der Lage sei, einem erheblichen Teil der Bevölkerung den Aufstieg in den Mittelstand zu ermöglichen.
In seinem Buch „Das Ende der Einsamkeit“ schildert Schoepp differenziert das Werben und die möglichen Perspektiven der Lateinamerikanischen Staaten. Noch würden zwar vielfach Rohstoffe aus Südamerika nach China exportiert, um dann als Fertigprodukte zurückzukehren. Das müsse künftig aber keineswegs so bleiben. 1200 deutsche Unternehmen, die vorwiegend Industriegüter fertigen würden, hätten sich bereits in Brasilien angesiedelt. Sao Paulo sei der größte deutsche Industriestandort außerhalb der Bundesrepublik. Seinen Strom wolle Brasilien künftig aus immer monumentaleren Staudammprojekten beziehen, ungeachtet der ökologischen Problematik dieser Form von Energieerzeugung. Weil sich das Land als ökonomischer Musterschüler sehe, verschweige es auch gerne seine immer noch reichlich marode Infrastruktur. Daher könne der Hinweis auf einen Stromausfall im Jahr 2009, der nach einem Tropensturm das halbe Land lahm legte, den Brasilianern noch immer die Schamröte ins Gesicht treiben, so Schoepp.
Richard Rabensaat
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