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Landeshauptstadt: Rauch aus Gottes Auge

Vera Schickel, geborene Oppenheim, und Leopold Bill von Bredow erinnern sich an die NS-Zeit

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Sie kamen wegen einer „Wohnungsverlagerung“, wie sie sagten. Zwei Männer in Zivil. Dabei war die Familie von Vera Schickel, geborene Oppenheim, gar nicht mehr jüdischen Glaubens. Schon die erste Generation nach Moses Mendelssohn, dem Philosophen und Stammvater der Mendelssohns, war zum Christentum übergetreten und ließ sich taufen. Doch den Nazis ging es nicht um den jüdischen Glauben, sondern um die von ihnen so titulierte „jüdische Rasse“. Ihr Großvater wurde demnach als „Volljude“ klassifiziert und seines Besitzes beraubt. Er kam bei den Oppenheims unter, bis zu jenem Tag im November 1943.

Es fällt Vera Schickel nicht leicht, über diese Zeit zu sprechen. Doch die Schüler des Helmholtz-Gymnasium s sind am gestrigen Tag ein hellhöriges Publikum. Sie wissen, dass sie mit dem damaligen Fräulein Oppenheim und mit Leopold Bill von Bredow, bis 1944 selbst Schüler an ihrer Schule, Zeugen einer Zeit vor sich haben, von der sie Erschreckendes aus den Geschichtsbüchern wissen.

Dem Großvater droht die Deportation ins Konzentrationslager. Vera Schickel erinnert sich: Ihr Großvater packte ein paar Dinge ein, wozu eine Zyankalikapsel gehörte, dann fuhren die Geheimpolizisten mit ihm davon. Aufgelöst rannte die in der Bertinistraße wohnene Familie ins Nachbarhaus, um von dort die von Bredows in der Menzelstraße anzurufen. Der Onkel der Familie von Bredow, Gottfried Graf von Bismarck-Schönhausen, war Regierungspräsident im heutigen Stadthaus. Als Enkel des „Eisernen Kanzlers“ Otto von Bismarck hatte der, wie der Zeitzeuge von Bredow den Schülern erzählt, den Nazis zuerst noch als Aushängeschild gedient. „Herr Bismarck fuhr mit meiner Mutter in die Prinz-Albrecht-Straße“, der Gestapozentrale, so Vera Schickel. Sie flehten dort, ihr Großvater sei doch alt, der Name Mendelssohn Bartholdy doch bekannt Es half nichts, in bedrückter Stimmung fuhren sie zurück nach Potsdam. Nach zehn Tagen klingelte es an der Hintertür, der Großvater stand davor. Über die Umstände seiner Freilassung durfte er nicht sprechen.

Die Familie Leopold Bill von Bredows hat Hitler-Anhänger wie -Gegner in ihren Reihen. Seine Mutter gehörte zu letzteren, sie hisste zwangsweise die Nazis-Flagge, aber die kleinste und hässlichste, die sie kriegen konnte. Gleichzeitig hängte sie eine große Preußen-Flagge in den Wind. Als die Rote Armee in Potsdam einmarschierte, hisste sie ein weißes Laken, wofür sie der Nazi-Mob noch in letzter Minute aufhängen wollte. Der gegenüber wohnende Prof. Griesbach rettete sie, er schrie die Schergen an, das ist eine achtfache Mutter, sie hat das Mutterkreuz und ist Enkelin Bismarcks, „die dürft ihr nicht aufhängen“.

Am Tag nach der Pogromnacht am 9. November 1938 war die Mutter mit ihren Kindern und auch dem damals fünfjährigen Leopold in der Brandenburger Straße in einem Schuhgeschäft. Die Eigentümer, das jüdische Ehepaar Hammerstein, stand in ihrem völlig demolierten Geschäft und weinte. Weinende Erwachsene hatte der Junge noch nie gesehen, die Szenerie brannte sich in sein Gedächtnis. Die Hammersteins, befürchtet von Bredow, wurden später deportiert.

Und auch daran erinnert sich von Bredow: Die Synagoge auf dem Wilhelmsplatz, heute Platz der Einheit, rauchte noch. Die SA-Banden hatten vorsichtig gezündelt, denn die Post daneben sollte keinen Schaden nehmen. Er sah, wie Rauch aus einem markanten Fassadenstück drang, einem Dreieck mit Strahlenkranz, dass das Auge Gottes symbolisiert.

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