Von Richard Rabensaat: Raus aus der Schmuddelecke
Das Zentrum für Computerspielforschung an der Universität Potsdam untersucht die künstlichen Welten
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Eigentlich ist das „Zentrum für Computerspielforschung“ an der Universität Potsdam ein El Dorado für Spielsüchtige. In Plastikkisten gestapelt liegen etliche Spiele bereit, etwa 3000 Stück hat das Forschungsinstitut bisher gesammelt. Die Universität stellt Spielkonsolen und Computer zur Verfügung und außerdem gehört es ausdrücklich zu den Aufgaben der Wissenschaftler, sich mit der Materie zu beschäftigen, über die sie forschen.
Dennoch macht der Dozent Stephan Günzel nicht den Eindruck eines Computer-Nerds, der sich nur schwer vom Bildschirm losreißen kann. Konzentriert und eloquent berichtet Günzel von seinem Forschungsgegenstand. „Wir fragen uns, wie sich die virtuellen Welten in der Zukunft entwickeln werden. Wahrscheinlich wird der Umgang mit dem Internet und mit Computerspielen so etwas wie eine zweite Alphabetisierung“ sein“, vermutet Günzel. Er meint damit, dass es immer selbstverständlicher werden wird, nicht nur von Link zu Link im Internet zu surfen, sondern sich dort mittels künstlicher Figuren, Avataren, wie in einer eigenen, vom Computer generierten Welt zu bewegen. Wie sich schon heute die künstlichen Welten der Computerspiele verändern und welche Auswirkungen das auf die Spieler und die Gesellschaft hat, untersucht das Forschungszentrum.
Erst in diesem Jahr gegründet vereint das Forschungszentrum unter dem Namen „Digarec“ so verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie Psychologie, Informatik und Kulturgeschichte. Durch die Einbindung ganz verschiedener Disziplinen in das Forschungszentrum soll ein möglichst umfassender Überblick zu den gesellschaftlichen Veränderungen entstehen, die von der Spielsucht bis hin zum Gedächtnistraining für Pensionäre reichen. Die Fachhochschule Potsdam, das Hasso Plattner Institut und das Erich Pommer Institut sind ebenfalls beteiligt.
Initiiert von dem Potsdamer Medienwissenschaftler Dieter Mersch hat das Forschungszentrum zwar kein eigenes Gebäude, bietet aber Studenten Promotions- und Arbeitsmöglichkeiten. Zudem schärft die Uni mit der Untersuchung der künstlichen Welten, die sich zunehmender Beliebtheit erfreuen, ihr wissenschaftliches Profil. „Bisher gab es wenig seriöse Forschung, das Thema steckte in einer Schmuddelecke“, resümiert Günzel.
Es sind ganz unterschiedliche Szenarien, die den Spieler jeweils aus dem Hier und Jetzt hinaus in eine ganz andere Wirklichkeit katapultieren. Mal versinkt die Sonne in der afrikanischen Savanne, während Löwen bedrohlich heranschleichen und feindliche Söldner erschossen werden müssen. Ein anderes Mal gilt es in hübsch artifiziell durchmodellierten Unterwasserwelten die dort angesiedelten Bewohner vor Ungeheuern und dem Ertrinken zu retten. Aber nicht die Suche nach der geschicktesten Methode, den heranstürmenden Zombie abzuknallen, steht auf dem Lehrplan des Instituts, sondern Wissenschaftstheorie. Die reicht von der „Medialität des Computerspiels“ bis zu den rechtlichen Problemen von virtuellen Online-Spielen. Weil Bildschirmspiele die Möglichkeit bieten, sich in ihnen zu bewegen, Handlungsabläufe zu beeinflussen und ganz eigene Welten zu schaffen, geschehe dort etwas völlig anderes als beim herkömmlichen Spielfilm oder beim Lesen eines Buches, meint Günzel.
Der Forschungsgegenstand des Zentrums wird sich in Zukunft rasant erweitern. Bis zu 13 Prozent Wachstum des Marktes jährlich erwartet die Branche bei einem Volumen von etwa 3,1 Milliarden US-Dollar. An Bedeutung hat die Spieleindustrie die Filmbranche bereits überflügelt, bei der Generierung illusionistischer Szenarien berühren sich die Branchen. Die Wüsten- und Endzeitlandschaften von Aktionsspielen sind kaum von Spielfilmen zu unterscheiden, Spiele wie Tomb Raider oder Resident Evil schaffen es aus dem Bildschirm auf die Leinwand.
Da die Spiele nicht selten einen gewalttätigen Grundtenor haben, beschäftigt sich das Zentrum auch mit der möglichen Förderung der Gewaltbereitschaft durch Egoshooter“ und ähnlich Spiele. Über neueste Ergebnisse berichten die Psychologinnen Barbara Krahé und Ingrid Möller derzeit in einer Veranstaltungsreihe.
8. Januar 2009: „Fördert der Konsum von Mediengewalt die Aggressionsbereitschaft?“, B. Krahé/I. Möller; 18 bis 20 Uhr, Uni Neues Palais, Haus 8, Raum 60/61.
Richard Rabensaat
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