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Homepage: „Rechte von Kindern in Gefahr“

Kirsten Winderlich von der FH empfiehlt mehr Erzieher für die Kitas

Stand:

Frau Winderlich, welche Erfahrungen haben Sie als Wissenschaftlerin und Mutter von vier Kindern gemacht?

Es fällt mir nicht leicht, im Kontext von Hochschule meine Erfahrungen als Mutter darzulegen. Als mein ältestes Kind, das heute fast elf Jahre alt ist, auf die Welt kam, war das Thema Frau und Mutter im Hinblick auf eine wissenschaftliche Laufbahn noch tabu. Auch heute, selbst vor dem Hintergrund der Bemühungen um Familienfreundlichkeit und Gleichstellung, nehme ich ein gewisses Misstrauen im Hochschulbetrieb, insbesondere Frauen mit Kindern gegenüber, wahr.

Inwiefern?

Ich werde häufig gefragt, ob es gut sei, sich mit Kindern auf einen derartigen Weg zu machen. Eine Skepsis gegenüber Frauen mit Kindern und wissenschaftlichen Ambitionen kann schnell dazu führen, den Versuch Kinder und Hochschulkarriere zu vereinbaren, aufzugeben. Da ich damals wie heute weder auf Kinder noch auf eine wissenschaftliche Laufbahn verzichten wollte, bin ich einen eigenen Weg gegangen. Mein Mann und ich teilen uns die Betreuung unserer Kinder. Mein Mann hat seine selbstständige Tätigkeit nach Hause verlegt. Wir haben zum Glück einen Garten, der primär auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet ist und die Großeltern haben ihren Lebensmittelpunkt nach Potsdam verlegt.

Und was sollte für die Kindertagesstätten gelten?

Die Einbindung von Familie in die Kinderbetreuung ist letztendlich auch das, was ich für Kindertagesstätten wünschenswert finde – dass sie nicht nur Kindern einen Bildungsraum eröffnen, sondern gleichzeitig auch ein Ort für Familien sind, der Kindern und Erwachsenen ermöglicht sich zu begegnen, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken und zu bereichern.

Was verstehen Sie unter Qualität in der Kinderbetreuung?

Generell ist der Begriff der Betreuung irreführend – ganz einfach weil er dem Kind einen passiven Status zuschreibt. Es ist heute unumstritten, dass sich Kinder aktiv und selbsttätig mit ihren eigenen Mitteln, ihrer Spiel- und Experimentierfreude, ihrer Forscherlust individuelle Zugänge zur Welt verschaffen. Diese Selbstbildungsprozesse der Kinder wahrzunehmen, sie individuell anzuregen, zu unterstützen und begleiten, ist Hauptaufgabe der Kinderbetreuung heute. Qualität in der Kinderbetreuung zu schaffen, heißt eine Bildung von Anfang an zu gewährleisten, die selbstverständlich ohne Zeit und Hingabe der Erzieherinnen und Erzieher für die Kinder, ohne Einbindung der Eltern und Familien nicht zu erreichen ist.

Welche Bedingungen sind notwendig, um Qualität in der Kinderbetreuung zu erreichen?

Erzieherinnen und Erzieher benötigen Zeit und Raum um das individuelle Sosein „ihrer“ Kinder, ihre Stärken und Interessen wahrzunehmen, um ihnen individuell begegnen zu können und ihre Erfahrungen zu teilen. Die Empfehlungen aus der aktuellen Expertise von Prof. Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz von der Alice-Salomon-Hochschule zur Bestimmung der Fachkraft-Kind-Relation in Kindertagesstätten besagen, dass für drei- bis sechsjährige Kinder das Verhältnis von einer Erziehungsperson zu acht Kindern nicht überschritten werden sollte. Wenn wir uns nun aber die Brandenburger Realität von einer Erzieherin zu mindestens 20 Kindern vor Augen führen, werden wir zu Recht besorgt, ob die in den neuen Bildungsprogrammen formulierten Ansprüche an die frühkindliche Bildung in Kindertagesstätten unter diesen Bedingungen überhaupt noch erreicht werden können – oder schlimmer noch, die Rechte von Kindern in Gefahr sind.

Das Gespräch führte Patrizia Reicherl

Kirsten Winderlich arbeitet im BA-Studiengang „Bildung und Erziehung in der Kindheit“ an der FH Potsdam. An der Uni Potsdam vertritt sie eine Professur für „Grundschulpädagogik“.

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