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Landeshauptstadt: Redeverbot auf Großbaustelle

Gestern startete eine Projektwoche in der Voltaireschule zum Thema Toleranz

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Der 16-jährige Marcus Hiller verlegt ohne ein Wort die letzten Kabel in der Styroporfassade. Er hat sein Atomkraftwerk direkt neben die Grundschule gebaut. Ausreden kann ihm den gefährlichen Standort niemand, denn es herrscht Redeverbot auf der Großbaustelle. In die hat sich gestern der Hof der Voltaireschule verwandelt – für ein Städtespiel.

Innerhalb von nur zwei Stunden sollen mehr als 100 Schüler der Jahrgangsstufe Elf die utopische Stadt „Potsdam Chaddasch“ (hebräisch: Neu-Potsdam) aus der Erde stampfen. Die meisten Schüler sind engagiert dabei, obwohl einige die Auftaktveranstaltung der Projektwoche „Für Weltoffenheit und Toleranz – gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ wegen des erzwungenen Schweigens merkwürdig finden. Darum sprechen manche einfach trotzdem miteinander.

Die Erfahrungen beim Bau der Stadt sollen Input für die sieben Arbeitsgemeinschaften geben, erklärt Projektleiter Rudolf Pahnke vom Institut Neue Impulse e. V. der Fachhochschule Potsdam. Bis Freitag arbeiten und lernen die Schüler selbstverantwortlich in Gruppen bis zu zwanzig Schülern. Nachdem sie das neue Potsdam im Miniformat errichtet haben, können sie gemeinsam Theater spielen, Religionen und kulturelle Identitäten erforschen, Zukunftsprognosen für Deutschland analysieren und sich mit dem Begriff Demokratie auseinander setzen.

Weit über den Tellerrand hinaus schaut dabei die Internet-Arbeitsgemeinschaft: Sie will virtuelle Verbindungen zu Gleichaltrigen nach Tiberius in Israel aufnehmen, um deren Lebenswelt kennenzulernen. „Der Kontakt wird nun wegen des Nahost-Konflikts zur Herausforderung“, meint Rudolf Pahnke: „Die Flüchtlinge kehren ja gerade erst nach Tiberius zurück.“ Aber als er im März mit der Pojektplanung begonnen hatte, sei der Krieg zwischen Israel und Libanon noch nicht abzusehen gewesen.

Für Lehrer Ludwig Urban hat das Projekt ein weiteres Ziel: „Teamfähigkeit zu entwickeln“ – die wichtigste Voraussetzung für das Abitur. Auch müsse „die Schule mit Leben“ erfüllt werden, so Urban. Doch mache das Projekt nur Sinn, wenn „die Ideen aus der Schule rausgetragen werden“. Was dagegen keinen Sinn macht, merken die Schüler auch bald: „Ich hab mich sehr gewundert, dass ihr versucht habt, euch an das Redeverbot zu halten.“ sagt Pahnke: „Das Verbot ist falsch, wie könnt ihr eine Regel akzeptieren, die so verrückt ist?“ Ein Raunen geht durch die Menge und dann ein Lachen.

Amélie Eulenburg

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