Landeshauptstadt: Reise ins All oder ins Ich
Aufbruch zu „Sternenträume am Mittag“ im neuen Planetarium der Urania
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Es ist kurz nach zwölf. Die wenigen Besucher reden übers Kochen. „ und dann schön Schnittlauch drüber.“ Rolf König tritt herein und kündigt an, er werde keine astronomischen Erklärungen abgehen. Jeder möge die Ruhe genießen. Er schließt die Tür. Mit dem Versiegen jeden Tageslichts fällt die kleine rote Sonne auf, die der Projektor auf das Firmament wirft. König startet seine Illusionsmaschine, auf der Halbkugel, die das Universum bedeutet, wandert die Sonne als kleiner roter Punkt dem Abendrot entgegen, die „Sternenträume am Mittag“ im neuen Planetarium beginnen.
Südwestlich, auf Höhe der Eisenbahnbrücke über die Havel, verschwindet die Sonne vom Firmament. Mit der Nacht bricht eine psychedelische Instrumentalmusik herein und die Sterne gehen auf. Dunkelheit wie diese ist selten geworden in unserer Zeit. Straßenlampen weisen heute den Weg, nicht Sterne. Über den Ebenen Afrikas oder auf Hochgebirgsgipfeln muss es noch so sein wie hier. Ein Spiralarm der Milchstraße legt sich über den Horizont. Das Gehirn unterhält sich im gleichmütigen Klang der Melodien mit dem Erkennen von Sternbildern. Da ist Orion, schon Großvater hatte auf den mythischen Himmelsjäger gezeigt; einem Sternenviereck, von einem Gürtel aus drei Sternen zu einem Ravioli zusammengeschnürt. Die Plejaden ziehen vorbei. Das Siebengestirn ist 430 Lichtjahre oder vier Meter entfernt, je nach dem. Hell erscheinen Castor und Pollux, die Zwillinge. Schwach zeigt sich die einzige mit bloßem Auge erkennbare Galaxie, der Andromeda-Nebel, zwei Millionen Lichtjahre weit weg.
Der große Wagen fährt vor, ein Kinderwagen ohne Räder, ein Fuhrwerk ohne Pferd. Wer den Abstand der beiden Hecksterne fünfmal verlängert, findet den Polarstern. Dort ist Norden. Opas Pfadpfinderwissen ist parat. Auch das: Wer erkennt, dass den Mittelstern der Deichsel noch ein kleines Beisternchen hat, der besitzt gute Augen. Königs Projektor aber hat ihn weggelassen. Oder die Sache ist ein Fall für den Optiker.
Die Nacht ist sternenklar, die Luft wird kälter, in der Bankreihe gegenüber nimmt jemand einen tiefen Zug. Wir sind auf den Anden, eine Panflöte spielt. Die Erde dreht sich nun langsamer. Oder das All. Die Sterne halten inne. Die kurze Geschichte der Zeit hat ihre Längen. Das städtisch trainierte Gehirn will Reize. Aus den punktförmigen Reflexen von der Decke sind keine weiteren bekannten Sternenbilder herauszuholen. Orion, Kleiner Wagen, Plejaden, Zwillinge, Andromeda. Immer wieder: Orion, Kleiner Wagen, Plejaden, Zwillinge, Andromeda Es langweilt etwas. Wie bei Dr. B in Zweigs „Schachnovelle“, der für Monate in einem Hotelzimmer eingesperrt ist, grast das Gehirn nun innere Weiden ab auf der Suche nach Unterhaltung. Es macht sich ein Angebot, gibt sich eine Nuss zum Nachdenken: „Hast du heute morgen vor dem Weggehen die Kaffeemaschine ausgemacht?“
Da taucht das Gesicht von Pierre Brice vor dem inneren Auge auf. Aber warum? Ah, da, da, erwischt: Der Komponist hat ein paar Akkorde aus der Filmmusik von „Winnetou“ gemopst.
Nun asiatische Klänge. Sehr schön. Zu den ältesten astronomischen Aufzeichnung der Menschheit gehören die der Chinesen. Da sich die Frage nach der Kaffeemaschine als Endlosspirale erweist, macht das Gehirn nun auf Bildungshuber. Wie war das bei Kant? „Nichts erfüllt das Gemüt mehr mit Ehrfurcht wie der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir?“ Oder so ähnlich.
Es wird hell. „Nun hat uns die Erde wieder“, sagt Rolf König. So hätte man es also auch sehen können, als Reise ins All, nicht ins Ich. Vielleicht beim nächsten Mal.
„Sternenträume am Mittag“ jeden Wochentag im Urania-Planetarium, Gutenbergstraße 71/72, von 12 bis 13.30 Uhr. Einlass alle 15 Minuten. Eintritt: 1 Euro.
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