Homepage: Renaissance der Sorge
Civitas über behinderte Menschen in Gastfamilien
Stand:
Civitas über behinderte Menschen in Gastfamilien Die Aufnahme behinderter Menschen in Gastfamilien: Glaubt man Prof. Dr. Peter Stolz von der Fachhochschule Potsdam schlägt man damit drei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen ist da die zunehmende Arbeitslosigkeit, zum anderen die abnehmende Fürsorge des sozialen Wohlfahrtsstaates und die Abwanderung der Menschen aus den neuen Bundesländern. Das hat der Psychologe am vergangenen Montag in einem Vortrag der „Civitas“-Vorlesungsreihe der FH in Potsdam deutlich gemacht. Stolz unterrichtet am Fachbereich Sozialwesen und arbeitete in der Vergangenheit mit Gastfamilien in der Nähe von Lübben, Landkreis Dahme-Spreewald. Über Anzeigen in der Lokalpresse hatte sich Stolz vor einigen Jahren auf die Suche nach solchen Gastfamilien gemacht, die behinderte Menschen aufgenommen hatten. Er begleitete und untersuchte sie. Ausgangspunkt dieser Untersuchungen waren die Krisenerscheinungen der Nachwendezeit: Geburtenrückgang, zunehmende Erwerbslosigkeit, Abwanderung, erschütterte Alltagsroutine, abnehmendes Steueraufkommen, Überalterung und Krise des Sozialstaats. Stolz kam im Laufe dieser Untersuchung darauf, dass eine „Neukonzeption des Fürsorgestaates“ notwendig ist. Beachtlich ist, dass neueste Studien, auf die Stolz verwies, nicht etwa die zunehmende Arbeitslosigkeit als Hauptgrund für Abwanderung erkennen. „Die Weckung des Gefühls, gebraucht zu werden, ist der wichtigste Grund, nicht wegzuziehen“, sagte Stolz. In den letzten 150 Jahren habe der Einzelne die Fürsorge an Institutionen übergeben, beispielsweise in der Kinder- und Altenbetreuung sowie der Erziehung. Die Familie habe in dieser Entwicklung eine immer geringere Rolle in der Fürsorge gespielt. „Die familiären Sorgebeziehungen sind in der entwickelten Moderne durch Geldbeziehungen ersetzt worden“, sagte Stolz. Die jetzige Krise fordere eine Renaissance der Sorge füreinander nach jahrzehntelanger Geborgenheit im staatlichen Fürsorgesystem. In den Gastfamilien ist Stolz nun auf eine Lösung der Probleme gestoßen. Die pflegebedürftigen Menschen finden eine neue Heimat, die Familien „entwickeln Zukunftsperspektiven und füllen die Leere des persönlichen Lebensumfeldes“ und der Sozialstaat spart, weil er nicht für teurere Heimbetreuung aufkommen muss. Stolz sieht daher dieses Modell als „Paradigma für zukünftige Familienleistungen“. Die Familienform der fünfziger Jahre: „der Vater verdient die Brötchen, die Mutter schmiert sie“, sei überholt. Auch werde in diesem Modell die Trennung von Arbeit und Familie durchlässig. „Die Familie wird als bezahlter Arbeitsplatz zurückgewonnen“, sagte er. Die Gastfamilien erhalten 800 Euro für die Betreuung. Dafür müssen sie rund um die Uhr verfügbar sein. Dieser finanzielle Anreiz sei jedoch nur ein Beweggrund. Durch die Übernahme solch einer sinnvollen Aufgabe könne man Entwicklungen bei Menschen bewirken, bisher ungenutzte Ressourcen einsetzen, soziale Anerkennung finden. Und vor allem: das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Aufgabe des Sozialstaats sei dann nur noch die Risikoabsicherung und die Unterstützung solchen Engagements. Jan-Oliver Schütz
Jan-Oliver Schütz
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: