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Landeshauptstadt: Rennpferd auf der Weide

43 Jahre, 168 Defa-Filme, 16 Geschäftsführer: Ulrich Kling geht in den Ruhestand

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Morgens, beim Aufwachen, liefern sich sein Kopf und sein Körper einen kleinen Disput, sagt Ulrich Kling. Während der Kopf wisse, dass Schluss ist mit dem Arbeiten gehen, wolle der Körper sich ins Auto setzen und nach Babelsberg fahren. Schließlich hat Kling das 43 Jahre getan. Jetzt geht der fast 66-Jährige in den Ruhestand, morgen ist sein offiziell letzter Arbeitstag. Zuvor hat er seinen restlichen Urlaub genommen – deshalb die „komischen Gedanken“ am Morgen: Es gehe ihm wie einem Rennpferd, das in der Box steht, bereit, Runden zu drehen. Doch dann wird es nur auf die Weide geschickt. „Ich bin mir noch ein kleines bisschen unsicher, ob mir das gefallen wird“, sagt Ulrich Kling.

Sein erster Arbeitstag in Babelsberg war der 13. Mai 1964. Nicht eine Sekunde zögert Kling, als er das Datum nennen soll. Zuvor hatte er an der Babelsberger Filmhochschule Produktion studiert, noch bevor er sein Diplom in der Tasche hatte, wurde er als Assistent des Produktionsleiters zur Abteilung für populärwissenschaftlichen Film der Defa geholt. Damit begann eine 28-jährige Defa-Karriere, die Ulrich Kling so erfüllt hat, dass er sie jederzeit wiederholen würde. Obwohl er nach dem Willen seines Vaters, eines Rechtsanwalts, bloß nicht zum Film gehen sollte. Kling wuchs im thüringischen Altenburg auf. Pflichtbewusst schrieb der Abiturient sich zunächst in Dresden für den Studiengang Wärmetechniker ein. Doch im letzten Moment habe es ihn „durchgeschüttelt“: Obwohl er schon immatrikuliert war, wollte er seinen Willen, Kameramann zu werden, nicht aufgeben. Er informierte sich an der Babelsberger Filmhochschule – und bekam es „mit der Angst zu tun“. Die Anforderungen an künftige Kameramänner waren hoch, oder zumindest hochgestochen formuliert. Doch Kling fand den Studiengang Produktion. „Das kriegst Du hin“, sagte er sich – und sollte Recht behalten.

168 Filme hat er in seiner Zeit als Produktionsleiter beim Defa Dokfilm-Studio mit Sitz in den heutigen Park Studios in Alt Nowawes verantwortet. Sein erster, er weiß es noch genau, war der Kinderfilm „Lokführer Naumann“. Viele sollten ursprünglich nicht folgen, denn „wie jeder Babelsberger Student wollte ich ins Defa-Spielfilmstudio“. Allerdings legte sich dieser Wunsch mit jedem Jahr bei den Dokfilmern. „Es hat mir gelegen, mit Leuten Kontakt zu haben“, sagt Kling. Viele Begegnungen hätten in sehr berührt, mit „vielen Helden unserer Filme waren wir jahrelang befreundet“. Es ging um alles bei der Dokfilm – von Käthe Kollwitz über die Anti-Baby-Pille bis zur Umsiedlung ganzer Dörfer. Nur wenige Filme wurden aus politischen Gründen nicht gezeigt, das Regime „redete uns nicht viel rein“. Kling arbeitete meist mit Regisseur Kurt Tetzlaff zusammen, einem, der als schwierig verschrieen war. „Da biste nicht lange“, hatten Kollegen prophezeit, doch Kling und Tetzlaff funktionierten miteinander. „Die Chemie stimmte – obwohl wir uns auch gegenseitig mal entlassen haben, sind wir gute Freunde geworden.“

Das scheint überhaupt eine seiner herausragenden Eigenschaften zu sein: Eine Gradlinigkeit, die so stringent daher kommt, dass man sie nur schlecht anfechten kann. Konflikten geht Kling nicht aus dem Weg – aber er arbeitet im Sinne der Verträglichkeit. Dass Fleiß und auch Ehrgeiz Gründe sind für sein erfülltes Leben will Kling am liebsten nicht hören. Er habe viel Glück gehabt, ist seine Version. Zum Beispiel, als er auf seine Frau Margitta hörte, die ihm einen Leitungsposten bei Dokfilm ausredete. „Einen Funktionär will ich auf keinen Fall haben“, sagte sie – und er ließ die vermeintlich große Karriere sausen. Im Nachhinein betrachtet richtig, sonst hätte die Wende wohl mehr Schwierigkeiten bedeutet.

So fand sich Kling schnell in der Marktwirtschaft ein: Nur kurz zuvor war er als Geschäftsführer zu Defa-Video gewechselt. 1990 schrieb die kleine Abteilung schwarze Zahlen. Mit Werbefilmen hatte Kling die Technik finanziert, mit Filmen über alle neuen Bundesländer und die Potsdamer Kulturlandschaft machte er mit dem damaligen Sender Freies Berlin (SFB) Geld: Mehr als 100 000 Kassetten wurden verkauft, 200 000 DM Spenden für die Kulturlandschaft kamen zusammen. Kling wollte sich mit dem Videogeschäft sogar selbstständig machen, aber die Treuhand verweigerte die Aufsplitterung der Defa. Das frustrierte den Neu-Unternehmer – er wechselte 1993 zum Studio Babelsberg, das aus der Defa geworden war. Schnell wurde er Leiter des Studiobetriebs, zuständig für alle Ateliers mit 25 000 Quadratmetern Fläche. Die letzten drei der dreizehneinhalb Jahre seien die schönsten gewesen, sagt er. Unter der Geschäftsführung von Carl Woebcken und Christoph Fisser sei investiert worden, Kling holte Fernsehproduktionen an den Standort. Endlich löste sich der große Druck, der während der Jahre in den roten Zahlen und einem Verschleiß von 16 Geschäftsführern auch auf ihm gelastet habe. Doch jetzt, da es am schönsten ist, muss er gehen: „Man muss die Kurve kriegen, wie im Spitzensport.“

Gestern Abend wurde in der Villa Kellermann Abschied gefeiert, im kleinen Kreis, mit seinen Töchtern Gerit und Anja, beide Schauspielerinnen, und Ministerpräsident Matthias Platzeck. Er und Kling spielten zusammen Volleyball in der Dokfilm-Sportgruppe. „Das verbindet“, sagt Kling, der bis heute spielt – als Ältester in der Sportgruppe Wilhelmshorst. Dort wohnen die Klings: Margitta und Ulrich, die Töchter mit Männern und drei Kindern. Dass Anja und Gerit Schauspielerinnen geworden sind, „das habe ich nicht gefördert“, sagt ihr Vater. Gerit habe schon immer „diese Neigung“ gespürt, bei Anja sei es einfach passiert. Das Management hat schließlich Mutter Margitta übernommen – für ihre Töchter und andere Schauspieler. Dass Ulrich Kling nun die Schauspieler-, Haus- und Enkelbetreuung übernimmt, schließt er aus: „Das haben wir festgelegt.“ Auch Opa will er nicht gerufen werden: „Die Kinder nennen mich Pepi – das hat sich so ergeben und ich habe es dankbar angenommen.“ Stattdessen sitzt er für die Freie-Bürger-Liste im Ortsbeirat von Wilhelmshorst und ist Chef des Filmmuseum-Förderkreises. „Es ist doch ganz gut gelaufen, das Leben“, sagt Ulrich Kling. Da können sich Kopf und Körper nur einig sein.

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