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Landeshauptstadt: Rentner gegen fliegende Fäuste

In Potsdam arbeiten seit gestern „Seniorpartner“ als Streitschlichter an der Goethe- und der Karl-Foerster-Schule

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In Potsdam arbeiten seit gestern „Seniorpartner“ als Streitschlichter an der Goethe- und der Karl-Foerster-Schule Von Juliane Wedemeyer Gestern war ihr erster Schultag. An sich nichts Ungewöhnliches – aber die Schulanfängerinnen Christine Scheunert und Christiane Burmeister sind beide über 60 Jahre alt und Rentnerinnen. Dass sie nun trotzdem jede Woche einmal in die Babelsberger Goethe-Schule gehen, liegt daran, dass sie zu den vier „Seniorpartnern“ der Schule gehören. In diesem Jahr werden in Potsdam zum ersten Mal insgesamt acht Seniorinnen an der Schule in der Kopernikusstraße und in der Karl-Foerster-Schule Bornstedt ehrenamtlich als Streitschlichter arbeiten. Als Scheunert und Burmeister an ihrem ersten Tag auf dem Schulhof drei Achtklässlern begegneten, „die heftig schimpften und dabei ständig ausspuckten“, sei ihnen bewusst geworden: „Das hier ist schon eine richtige Aufgabe.“ Sie habe gleich überlegt, wie sie die drei „beruhigen und zu einem sachlichen Gespräch bringen“ könnte, so Scheunert. Dafür haben die beiden extra einen Kurs absolviert: 80 Stunden plus Praktikum an einer Schule. „Wir haben vor allem Gesprächstechniken zur Mediation erlernt“, so Scheunert. Schließlich müsse erst einmal das Vertrauen der Schüler gewonnen werden. Deshalb sei das oberste Gebot: „Nicht richten und urteilen! Keiner der Streithähne soll sich als Sieger oder Verlierer fühlen“, erklärt Burmeister. Vielmehr sollten die Schüler unter Anleitung der beiden so genannten Mediatoren selbst eine Lösung finden. Die Kosten für den Lehrgang übernimmt der Verein „Seniors in School“ (SIS). Die Rentner zahlen im Gegenzug den Mitgliedsbeitrag und verpflichten sich mindesten anderthalb Jahre an einer Schule zu arbeiten. Richtig begonnen haben Scheunert und Burmeister mit ihrer Schlichtertätigkeit aber noch nicht. Erst einmal müssen sie Schüler und Lehrer darauf aufmerksam machen, dass es sie überhaupt gibt. Ein Informationsblatt mit den Bildern der vier Seniorpartner hängt schon im Treppenhaus. Und Burmeister hat bereits leuchtend grüne Hinweisschilder designt, die den Schülern ab heute den Weg zu dem kleinen Dachkämmerchen zeigen, das als Büro dient. Dennis aus der neunten Klasse findet es jedenfalls gut, dass nun auch ältere Leute bei Streitereien Ansprechpartner sein werden: „Besonders wenn man sich mit einem Lehrer in die Haare kriegt.“ Gerade sei er aus dem Unterricht geworfen worden – nach einer „Schubserei mit dem Lehrer“. Der erste Job für Burmeister und Scheunert? Die beiden wollen eigentlich bei Problemen zwischen Schülern weiterhelfen, „aber wenn der Lehrer freiwillig zu uns kommt, würden wir natürlich auch zwischen ihm und dem Schüler vermitteln“, so Burmeister. „Aber nicht weil wir das besser können als die Lehrer, sondern weil wir einfach mehr Zeit haben“, betont Scheunert. Das sei auch der Grund für ihre Mediatorenarbeit: „Ich will auch jetzt etwas Sinnvolles tun – nicht nur zu Hause sitzen, Tennis spielen und verreisen“, sagt die Medizinisch-technische Assistentin im Ruhestand. Und für Burmeister, die vor ihrer Rente als Ärztin gearbeitet hatte, hat die neue Aufgabe einen weiteren Vorteil: Als Rentnerin habe man kaum Verpflichtungen, keinen Zeitrahmen mehr für die Dinge, die zu erledigen sind. „Der Tag an der Schule ist da ein fester Termin, ein Zielpunkt, der die Woche strukturiert.“ Lehrer Rolf Bauer freut sich über das Engagement der beiden: „Sobald sie sich eingearbeitet haben, werden sie eine große Unterstützung für uns sein.“ Denn Schubsereien kämen öfter an der Goethe-Schule vor. Und auch seine 15-jährige Schülerin Bianca überlegt, sich künftig an Scheunert und Burmeister zu wenden, wenn sie bei einem Streit wieder keinen anderen Ausweg sieht, als den, dass „dann eben die Fäuste fliegen und man das so klärt.“

Juliane Wedemeyer

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