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Homepage: Retter oder Kriegsverbrecher

Im Militärgeschichtlichen Forschungsamt wurde eine Biographie über Großadmiral Dönitz vorgestellt

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Er war Hitlers Nachfolger: Am 1. Mai 1945 trat Karl Dönitz das Amt als letztes Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches an. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine blieb auch nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 im Amt – bis zu seiner Verhaftung durch die Alliierten am 23. Mai 1945. Im Nürnberger Prozess 1946 wurde der Großadmiral, von Hitler einen Tag vor seinem Selbstmord zum Staatsoberhaupt ernannt, zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, aber vom Vorwurf der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ freigesprochen. Seine Präsidentschaft im untergehenden Nazireich spielte keine Rolle.

Mit diesem Urteil der Alliierten war eigentlich alles gesagt. Nach der Entlassung des Großadmirals 1956 setzte aber eine sogar bei den westlichen Kriegsgegnern verbreitete Verklärung des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine ein, insbesondere durch ehemalige U-Bootfahrer. Er wurde als untadeliger Militär ohne politische Belastung dargestellt. Durch autobiografische Schriften trug der 1980 verstorbene Dönitz selbst zu diesem Bild bei.

Damit versucht der ehemalige Marineschullehrer Dieter Hartwig in seinem im Schöningh-Verlag erschienenen und im Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamt vorgestellten Titel „Großadmiral Karl Dönitz - Legende und Wirklichkeit“ aufzuräumen. Er betont die Bewunderung des Militärs für Hitler und zieht in Zweifel, dass Dönitz von den nationalsozialistischen Verbrechen, insbesondere der Judenvernichtung, nichts gewusst habe. Dies konnte ihm im Nürnberger Prozess auch nicht nachgewiesen werden.

Der Autor sieht Kriegsverbrechen auch im gnadenlosen U-Bootkrieg des Großadmirals mit einer extrem hohen eigenen Verlustquote und der Verweigerung, Schiffbrüchige der torpedierten Schiffe zu retten. Dies betrachteten allerdings U-Bootfahrer als kriegsbedingt.

Ein Kernpunkt im Streit um die Rolle des zum Staatsoberhaupt berufenen Großadmirals ist die durch ihn bewusst eingeleitete einwöchige Hinauszögerung der deutschen Kapitulation. In dieser Zeitspanne wurden mit Kriegsschiffen angeblich 2,5 Millionen Bewohner der deutschen Ostgebiete in Sicherheit gebracht. Gegen diese Darstellung fährt Autor Hartwig schweres Geschütz auf. Seine These, die Rettungsaktionen seien nicht von Dönitz, sondern von den einzelnen Schiffskommandanten ausgegangen, kann er allerdings nicht zweifelsfrei belegen.

Seine Forderung, der Großadmiral habe Hitler bereits 1944 zur bedingungslosen Kapitulation auffordern sollen, wirkt realitätsfern. Nicht ernsthaft nachgegangen ist der Autor der Frage, warum der Widerstandskämpfer Martin Niemöller, der sich unter anderem gegen die Ausgrenzung von Christen jüdischer Herkunft wandte, Dönitz zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Der Großadmiral selbst hatte am 1. Mai 1945 erklärt: „Meine erste Aufgabe ist es, deutsche Menschen vor der Vernichtung zu retten.“

In der schier unüberschaubaren Fülle von Verweisen lässt Hartwig jedoch die DDR-Veröffentlichungen zu Karl Dönitz aus. Mit einer Ausnahme: Er erwähnt positiv die 1988 für das Fernsehen gedrehte Biographie des Potsdamer Dokumentarfilmers Karl Gass. Dem Fazit eines damals auch in den Brandenburgischen Neuesten Nachrichten, dem Vorgänger der PNN, veröffentlichten Artikels der „National-Zeitung“ könne man zustimmen: „Dönitz gehört zu den unerfreulichen Gestalten der deutschen Militärgeschichte.“

Dieter Hartwig: Großadmiral Karl Dönitz - Legende und Wirklichkeit. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010. 435 Seiten mit 26 Abbildungen kosten 39,90 Euro. ISBN: 978-3-506-77027-1

Erhart Hohenstein

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