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Homepage: Rückkehr in die Wissenschaft Für Erhard Stölting gibt es keinen Ruhestand
Der Ruhestand war für Erhard Stölting die Rückkehr in die Wissenschaft. Nun kann er endlich wieder ausleben, wofür er früher die Schule geschwänzt hat.
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Der Ruhestand war für Erhard Stölting die Rückkehr in die Wissenschaft. Nun kann er endlich wieder ausleben, wofür er früher die Schule geschwänzt hat. Die Universität in seiner Heimatstadt Freiburg hatte für ihn einen solchen Glanz und Reiz, dass er sich regelmäßig aus der Schule stahl. Vorlesungen hören, das war der Grund für sein Schwänzen. Stölting hat bis 2007 an der Uni Potsdam Soziologie gelehrt. Die Wissenschaft lässt den Soziologen, der am kommenden Sonntag seinen 68. Geburtstag begehen wird, aber auch nach seiner Emeritierung nicht los.
Momentan interessiert ihn das Thema „hysterische Kommunikation“. Über seine Kindheit sagt er, dass er in „Räumen aufgewachsen ist, wo Bücher standen“. Er konnte sich frei zwischen ihnen bewegen. Seine Mutter, gelernte Buchhändlerin, die später als Sekretärin in der Regionalplanung arbeitete, hielt ihn nicht auf. Geschichte und Belletristik durchstöberte er. Dabei folgte er immer seinem Wissenshunger. Sein erster Ferienjob klingt fast wie ein Grundstein zur Soziologie. Er zählte die Bevölkerung und zeichnete Lebensbäume.
In den 1970er Jahren begann er ein Studium an der Freien Universität in Berlin. Die Liste ist lang: Germanistik, Romanistik, Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaft, Philosophie. Für Diplom und Promotion blieb er dann bei der Soziologie. „Wie alle habe ich als Hiwi angefangen“, berichtet er. „Ich wurde aber nie richtig geknechtet.“ Er fühlte sich angeregt, aufgefordert, weiter zu denken und zu arbeiten. Sein Weg zur russischen Sprache beschreibt am besten seine Lernwege. Denn einfach nur ein Diplom zu machen, war ihm zu langweilig. Er nahm sich also das Russische vor. Mit Belletristik und Wörterbuch eroberte er sich einzelne Wörter, dann Sätze, dann Seiten, bis ihm die Bücher zu langweilig wurden. Dann suchte er sich ein neues Interessenfeld, aber Russland blieb für sein ganzes Leben wichtig. Es ist seine „Nische“, wie er es nennt. In ihr arbeitete er jahrelang als Osteuropa-Korrespondent für die taz. „Ich bin mit Gorbi zur taz gekommen“, erinnert sich Stölting. In seiner Nische ist er noch heute der Spezialist, der auch von Journalisten hinzugezogen wird. So wie im Sommer für eine Sendung bei Deutschlandradio. Erhard Stölting ist also alles andere als einfach in Ruhestand gegangen.
An die zwei Jahre als Gastprofessor in Berkeley 1992-94, an der berühmten University of California, blickt er mit einem Glücksgefühl aber auch ein wenig wehmütig zurück. Für ihn ist eine klassische Universität ein ehrwürdiger und ein „kluger Ort“. Eine Bibliothek beschreibt er, als wäre es ein Heiligtum. Berkeley bot all das für ihn und vor allem die Freiheit zu forschen. Die Freiheit, die er in einer reformierten Universität, wie sie es heute mit den Bachelor-Studiengängen gibt, zum Schluss nicht mehr sah. Eine Freiheit, die er seit seiner Emeritierung wieder hat.
Den Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie an der Uni Potsdam hatte Stölting 14 Jahre inne. Zwischen Studierenden und Hochschule war er eine Art Verbindungselement. Deshalb hat er auch im Bildungsstreik 2009 vermittelt. Er sagt dazu, „ich war einer der Wenigen, die beide Seiten akzeptieren konnten“. Auf die Frage, wie es sich anfühlt einen Wikipedia-Eintrag zu bekommen, scheint es fast, als würde er die Augen rollen. Stölting ist ein bescheidener Mensch. Mit dem ihm typischen Humor sagt er dann, dass es doch schon genug um seine Eitelkeiten gegangen sei. Mehr gäbe es nicht dazu zu sagen. Anja Reischke
Anja Reischke
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