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Schauspielstudenten der HFF als Chansonniers
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„Alle bestanden – Noten werden erst später verteilt!" brachte es ein Dozent des Studienganges „Medienspezifisches Schauspiel“ nach der Chansonprüfung an der Potsdamer Filmhochschule „Konrad Wolf“ (HFF) auf den Punkt. Sechs Schauspielstudenten des 5. Semesters wurden jüngst beim offenen Hochschultag zum Vorsingen gebeten. Betreut und geführt von Eva Other und Michael Schenk, hatten sie Lieder, Songs und Chansons zu einem höchst belebenden Programm zusammengefasst. Auch für das „Feedback“ war gesorgt: Peu a peu füllten sich die Plätze im Theatersaal der HFF, bis es richtig voll und gemütlich war. Eine elementare Voraussetzung, denn vor leerem Gestühl läuft auch die beste Interpretation ins Nichts. Technisch standen Korrepetitoren wie ihre Eleven vor der Aufgabe, nicht immer ausgereifte Stimmen durch schauspielerisches Talent auszugleichen. Und da hatten sich die Studenten so viel einfallen lassen, dass der Saal bei fast jedem Vortrag in Jauchzen und Schwärmen verfiel. Spielfreude, Interpretationslust und jede Menge Beifall machten diese Prüfung zu einem Vergnügen.
Frech und keck, sparsam in ihren Mitteln, eröffnete Marleen Lohse das Ereignis mit „Tach, Herr Chef“, worin sie dem Guten mal so richtig die Meinung geigt. Später erlebte man sie mit anspruchsvollen Titeln wie Jacque Brels „Le prochain Amour“ oder dem völlig ungebrochen dargestellten Rio-Reiser-Song „Halt dich an deiner Liebe fest“. Ein echter Schmachtfetzen. Bestanden, klar.
Florens Schmidt wählte in Form eines Sprechgesangs ebenfalls einen Brel: „Au suivant“ erzählt von der Traumatisierung eines jungen Soldaten, der als einer von vielen den Befehl erhielt, eine Frau zu vergewaltigen. Atemberaubend diese Darstellung. Aber auch „Das Lied von der harten Nuss“ aus Brechts „Happy end“ hatte durch seine Lakonik etwas Eigenes.
In Lumpen gehüllt, beeindruckte Matthias Weidenhöfer durch die eindringlich stille Interpretation des „Leiermanns“ aus Schuberts „Winterreise“. Charles Aznavour „Oublie Loulou“ hingegen trug er flotten Tempos und mit hübschem Vocalise-Part vor.
Es war ohnehin ein Programm der sorgsam vermischten Gefühle. Von Prüfungsstress keine Spur. Janin Stenzel fragte als kesse Pflanze höchst rustikal „Wat braucht der Berliner, um glücklich zu sein?“. Ganz andere Töne bei „La Foul“, schnell, aber sehr kompakt, diesmal per Akkordeonbegleitung von Katharina Müller. Toll. Stella Hilb interpretierte zwei Songs von Brecht/Eisler, die „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ und das „Lied eines Freudenmädchens“. Fein-herb könnte man sagen. Sebastian Brandes gab sich als Schalk und Verwandlungskünstler. Größte Konzentration beim Vortrag des pazifistischen Liedes „Der Graben“ von Tucholsky/Eisler. Im Rückwärtsgang und wie ein Maikäfer auf dem Rücken liegend, mit den Beinen strampelnd, präsentierte er schließlich seine übermütige Fassung von Stings „Walking on the moon“. Beifallsstürme im Parkett! Es gab noch mehr, noch anderes, mal nett, mal böse, rustikal oder zart, zweiundzwanzig Titel mit jeweils eigenem Gesicht. Gerold Paul
Gerold Paul
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