Landeshauptstadt: Scharfenberg vs. Jakobs: 10 225 zu 6624
Linke-Chef legt bei Stimmen zu und fordert Rücktritt des Oberbürgermeisters / SPD: Linke hat verloren
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Das Tauziehen um den Wahlsieg hat erst nach Auszählung der Stimmen begonnen. Sowohl Linke als auch die SPD erklärten sich gestern zu Gewinnern der Wahl. Die Linke, weil sie in ihre Anzahl der Stimmen steigern konnte. Die SPD, weil sie sich nun wieder auf Augenhöhe mit den Linken betrachtet. Und so stichelt Potsdams SPD-Chef Mike Schubert, der das schlechteste Ergebnis der SPD-Spitzenkandidaten erreicht hat, gegen die Linke: Die habe „lediglich in Potsdam verloren und ihr bisher schlechtestes Ergebnis seit 1990 eingefahren“. 31 Prozent der Stimmen haben die Linken, die SPD erhielt 27,1 Prozent. Gemeinsam mit der CDU und den Bündnisgrünen, also die frühere „Schlosskoalition“, haben sie nun eine absolute Mehrheit im Plenum.
Das Wahlergebnis der SPD und speziell das des Oberbürgermeisters Jann Jakobs haben Hans-Jürgen Scharfenberg gestern dennoch zur Rücktrittsforderung gegen Jakobs verleitet. Jakobs habe seinen „Marktwert feststellen lassen und verloren“. Seit 2002 ist Jakobs im Amt, nun sei, „er angetreten, um eine Bestätigung für seine Politik zu bekommen“, sagte Scharfenberg: „Das ist gescheitert.“ Die „logische Konsequenz“ sei, „dass ich ihn zum Rücktritt auffordere“. Er macht den Misserfolg von Jakobs am direkten Duell der beiden fest – es endete 6624 zu 10 225 Stimmen für den Linke-Chef. Schon bei der Oberbürgermeisterwahl hatte Jakobs in der Stichwahl den Wahlkreis gegen Scharfenberg verloren, der Abstand am Sonntag war noch deutlicher.
Jakobs denkt jedoch nicht an Rücktritt. Er erklärte, die Linke habe vor allem in Wahlkreis IV an Stimmen verloren und reklamiert für sich, dass die SPD die Partei sei, die die ganze Stadt repräsentiere. „Diesem Anspruch werden wir am ehesten gerecht“, so Jakobs. Warum ausgerechnet die Linken in Potsdam erneut die Mehrheit geholt haben, obwohl die Wahlbeteiligung besser war als vor fünf Jahren und die Stadt als bürgerlich gilt, weiß Jakobs nicht. Dabei hat in den letzten Jahren ein regelrechter Bevölkerungsaustausch stattgefunden. Herbert Schlomm (Linke) nennt es das „Kleinmachnow-Syndrom“ – die Wählerschaft werde ausgetauscht. Allein seit der letzten Kommunalwahl 2003 sind 45 000 Menschen hierher gezogen und 39 000 haben die Stadt verlassen. Viele Zuzügler kommen aus den westlichen Ländern oder aus Berlin – vermutet worden war, dass sie eher die bürgerlichen Parteien wählen.
Für Sven Petke, den stellvertretenden Landeschef der CDU, die in Potsdam 7,4 Prozent der Stimmen verlor und nur noch auf 11,8 Prozent kommt, ist klar: „Die Zuzüge werden genauso überschätzt wie die sogenannten Reichen und Schönen“, sagt er. „Die Joops und Jauchs dominieren zwar das Bild von Potsdam für Außenstehende, in der Stadt selbst sind sie aber eine Minderheit.“ Entscheidend für den Erfolg der Linken ist nach Petkes Ansicht die Tatsache, dass trotz der Zu- und Wegzüge in Potsdam immer noch viele von jenen wohnen, die immer hier wohnten – „ehemalige Grenzpolizisten, NVA-Offiziere, Staatswissenschaftler – Leute eben, die der DDR nahe standen“. Das sei die Klientel, die auch 18 Jahre nach der Einheit für den Erfolg der Linkspartei sorge, meint Petke.
Für den Vorsitzenden der Potsdamer Linkspartei Pete Heuer sind das „dümmliche antikommunistische Plattitüden“, zumal die Linke ihre Stimmen eben nicht nur in Plattenbauten geholt habe. „Aber die Geschichte mit den alten treuen SED-Kadern ist ja so einfach“, sagt er: „Da muss man sich nicht damit auseinandersetzen, dass es eine Westausdehnung der Linken gibt, dass wir auch in Bayern nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind und dass viele ehemalige SPD-Wähler wegen der Hartz-IV-Gesetze und der Agenda 2010 zu uns gewechselt sind.“ Eine Stammwählerschaft bescheinigt auch Peter Schüler (Bündnis90/Grüne) den Linken. Die hätten früher schon PDS gewählt und seien treuer als Wähler anderer Parteien, so der Fraktionschef der Bündnisgrünen. Nach der Wahl befürchtet er, dass es zwischen Jakobs und Scharfenberg „die nächsten sechs Jahre ähnliche Hahnenkämpfe wie in der Vergangenheit gibt“. Der Weg mit wechselnden Mehrheiten zu regieren, eröffnet Jakobs neue Chancen nach der Wahl. Zehn Parteien und Wählergruppen sind ins Rathaus eingezogen, darunter auch die FDP. FDP-Stadtchef Marcel Yon und die mit 1840 Stimmen erfolgreiche liberale Spitzenkandidatin Martina Engel-Fürstberger äußerten sich gestern sehr erfreut über die errungenen drei Mandate. Dass die FDP damit nach der Änderung der Kommunalverfassung keine Fraktion bilden kann, sei „inhaltlich Murks“, sagte Yon gestern: Es bedeute, alle Parteien ins Stadtparlament zu lassen, sie dann aber von der Ausschuss-Arbeit auszuschließen. Nur Fraktionen können Ausschüsse besetzen. Um eine Fraktion bilden zu können, sind vier Stadtverordnete notwendig.
„Sehr zufrieden“ ist Die-Andere-Spitzenkandidat Lutz Boede, dass er das Babelsberger „Kopf-an-Kopf-Rennen“ mit Wolfhard Kirsch (Bürgerbündnis) mit 1211 zu 733 Stimmen deutlich gewonnen hat. Auch die Fraktion habe „gegen den demografischen Trend, der uns nicht gerade begünstigt hat“, ein gutes Ergebnis eingefahren. Boede zufolge wird Die Andere Klage dagegen einreichen, mit drei Mandaten keine Fraktion bilden zu können. Im Ergebnis des Rechtsstreits „gehe ich davon aus, dass wir mit drei Stadtverordneten eine Fraktion bilden können“, sagte Boede. jab/gb/das
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