Landeshauptstadt: Schattenseiten bleiben im Dunkeln
Die Potsdamer Stadtverwaltung im Jahr 1945: Eine Ausstellung eröffnete im Rathaus
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Die Potsdamer Stadtverwaltung im Jahr 1945: Eine Ausstellung eröffnete im Rathaus Von Erhart Hohenstein Die Zerstörung Potsdams durch englische Bomber, das Alltagsleben der Bewohner, die Russen in Sanssouci – vielfältig ist das Jahr 1945 zum 60. Jahrestag des Kriegsendes in Ausstellungen und Veröffentlichungen widergespiegelt worden. Das Stadtarchiv versucht jetzt eine der letzen Lücken zu schließen, indem es in einer gestern eröffneten Foyerausstellung im Rathaus die Leistungen der Verwaltung darstellt. Der Titel „Eine Stadt steht auf“ verrät, dass die beiden jungen Autorinnen Nancy Beckmann und Susanne Gromoll, beide Archivfachangestellte, diese Leistungen positiv bewerten. Dem kann nicht widersprochen werden. Ob es die zunächst übernommenen alten Verwaltungsbeamten unter dem von der Besatzungsmacht ernannten ersten Nachkriegsoberbürgermeister Dr. Friedrich Bestehorn waren, Kommunisten wie Polizeichef Fritz Schwuchow und Stadtschulrat Hans Riebau oder der 1. Bürgermeister Georg Spiegel (SPD), sie setzen sich nach der Stunde Null aufopferungsvoll dafür ein, die notleidende Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren und ihr ein Dach über dem Kopf zu geben. Dafür nennt die Ausstellung eindrucksvolle Beispiele. So nahm das Gesundheitsamt den Kampf gegen die sich ausbreitenden Seuchen auf. Es gelang, 77276 Potsdamer gegen Typhus und fast 11 600 Kinder gegen Diphtherie zu impfen. Für die 1303 Geschlechtskranken wurden fünf Beratungsstellen eingerichtet. Acht Apotheken hatten schon wieder geöffnet, es gab 700 Krankenhausbetten. Das Stadtbauamt, das im späteren Stasi-Gefängnis Lindenstraße untergebracht war, organisierte bereits ab 10. Mai die Enttrümmerung und die Notreparatur von Wohnungen. Tausende halfen dabei für einen Teller „Graupensuppe mit Öl“ und ein Stück Kommissbrot täglich mit. Schon am 22. Mai öffneten wieder die Schulen. Weihnachten erhielten viele Kinder (die Ausstellung spricht von 20000) Bezugscheine für Kleidung und Schuhe. Schnell blühte das kulturelle Leben auf, mit Theatervorstellungen im Konzerthaus Hegelallee, der Vorführung sowjetischer Filme in den Kinos Charlott und Obelisk und der Wiedereröffnung der Stadtbibliothek. Unbestritten trug die Stadtkommandantur unter Oberst Werin zu diesen Fortschritten bei. Die damalige Aufbruchsstimmung hat die beiden jungen Autorinnen wohl stark beeindruckt, wie man der Ausstellung ansieht. Die Schattenseiten des Jahres 1945 bleiben dabei weitgehend im Dunkeln. Am 19. Mai 1945 stellten die „Mitteilungen der Stadt Potsdam“ die neue Stadtverwaltung vor. Statt des inzwischen verhafteten und amtsenthobenen Friedrich Bestehorn wurde ein Dr. Heinz Zahn als Oberbürgermeister genannt. Als die Besatzungsmacht dem 28-Jährigen, der sich den Doktortitel selbst zugelegt hatte und mit seinen Verbindungen zur KPD-Führung prahlte, auf die Schliche kam, verschwand er spurlos. Zahns Schicksal blieb bis heute ungeklärt. Die Stadtverwaltung kämpfte nahezu ergebnislos gegen die Wohnungsnot an, weil ein Drittel der bebauten Grundstücke von der Besatzungsmacht belegt war. Als vor der Konferenz der großen Drei in Cecilienhof auch noch das Viertel am Neuen Garten zwangsgeräumt wurde, waren 19000 Potsdamer auf Wohnungssuche, wie Stadtsyndikus Dr. Stange beklagte. Die Häufung von Geschlechtskrankheiten hatte ihre Ursache darin, dass viele Frauen durch sowjetische Soldaten vergewaltigt wurden und andere sich prostituierten, um ihre Familie ernähren zu können. Während sie von Kartoffeln und Brot lebten, kam bei den Russen „der Schinken pfundweise auf den Tisch“, wie es in einem Bericht von Bürgermeister Spiegel hieß. Diese und viel schlimmere Dinge, so die Erschießung von mindestens vier 16- bis 18-jährigen Gymnasiasten, die sich dem Russisch-Unterricht verweigerten, bleiben in der Ausstellung unerwähnt. Sie hätten deutlich gemacht, mit welchen über Hunger, Not oder Obdachlosigkeit hinausgehenden Problemen die erste Nachkriegsverwaltung Potsdams zu ringen hatte.
Erhart Hohenstein
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