Landeshauptstadt: Schienen verbogen wie Draht
Horst König traf am Abend des 14. April 1945 mit der S-Bahn auf dem Hauptbahnhof in Potsdam ein – im Zielsektor der Bomber
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Horst König traf am Abend des 14. April 1945 mit der S-Bahn auf dem Hauptbahnhof in Potsdam ein – im Zielsektor der Bomber Kurz vor Kriegsende, am 14. April 1945, wurde Potsdam Ziel eines verheerenden britischen Luftangriffes. Aus Anlass des 60. Jahrestages des Bombardierung schildern sechs Zeitzeugen in einer PNN-Serie, wie sie die Nacht des 14.April er- und überlebt haben. Heute: Horst König, geboren 1928, Pfarrer im Ruhestand, lebt in Leipzig. Als 17-jähriger Luftwaffenhelfer wurde Horst König von der Oderfront abkommandiert. Gemäß Marschbefehl übernachteten er und seine ihn begleitenden Kameraden die Nacht vom 13. zum 14. April in der heutigen Tresckow-Kaserne in Potsdam. Den Tag verbrachten sie in Berlin. Am Abend trafen sie mit der S-Bahn in Potsdam ein und wollten vom Hauptbahnhof weiterreisen doch die aufheulenden Sirenen durchkreuzten unseren Plan. Wir befanden uns noch auf dem Bahnsteig, als über Lautsprecher die Anweisung gegeben wurde, sofort die Luftschutzräume innerhalb des Bahnhofes aufzusuchen. Das Bahnpersonal wies den Fahrgästen den Weg. Die Reisenden drängten zur Treppe nach unten, wir jedoch hielten es für unter unserer Würde, uns in die Katakomben treiben zu lassen, und das noch in solch einer wunderschönen Aprilnacht! Wir scherten aus und verließen das Bahnhofsgebäude durch den Hauptausgang und verkrümelten uns im Gelände. Nahe der Gleisanlagen fanden wir an einem kleinen Abhang ein lauschiges Plätzchen und streckten uns im frischen Gras aus, schauten in den Nachthimmel und nahmen die Zwangspause gelassen hin. Gegen 23 Uhr vernahmen wir erste Motorengeräusche, noch weit entfernt und schwach, aber schnell sich verstärkend. Scheinwerfer flammten auf und suchten den Himmel ab, Flakfeuer, und Sekunden später war der erste Pulk über uns, mit Kurs Berlin, wie wir meinten. Wir sahen die glitzernden Vögel, die trotz wilden Flakfeuers unbeirrt ihre Bahnen zogen und dachten an die armen Berliner und das, was nun wieder auf sie zukommt. Plötzlich fielen „Christbäume“ und machten im Nu die Nacht zum Tage. Wir spotteten über dieses voreilige Abwerfen der Leuchtkörper, doch im gleichen Augenblick vernahmen wir auch schon das schreckliche Heulen niedersausender Bomben, gefolgt von ohrenbetäubenden Detonationen, z.T. in unmittelbarer Nähe. Innerhalb von Sekunden befanden wir uns inmitten eines Infernos, wie wir es bisher auch an der Front nicht erlebt hatten. Wir waren an unserem Hang fast ohne Deckung dem Bombenhagel ausgesetzt. Von den Gleisen trennte uns ein hoher Lattenzaun, den wir in unserer Todesangst zu überklettern suchten. Doch ehe dies gelang, war er durch den ungeheuren Luftdruck hinweggefegt. Mit ein paar Sprüngen erreichten wir den auf dem ersten Gleis abgestellten Güterzug und warfen uns unter einen der Waggons. Den Kopf dicht an die Innenseite eines Rades gepresst, den Körper so flach wie möglich an der Schiene, fanden wir ausreichend Splitterschutz. Doch nun drohte uns der Staub zu ersticken. Mit zitternden Händen suchte ich nach der Gasmaske, doch unter dem Krachen der Bomben und den wahnsinnigen Erschütterungen gelang es mir nicht, sie aufzusetzen, außerdem hätte ich dazu den Stahlhelm abnehmen müssen. So drückte ich die Nase in den Ärmel meines Mantels, krallte die Finger in die Schottersteine und betete zu Gott, dass er seine schützende Hand über uns halten möge. Immer wieder suchte ich Sprechkontakt zu meinen Kameraden, griff nach ihnen, fragte: „Lebt ihr noch?“ Sie schrien mir ihre Antwort zu. Mein Gebet war erhört. Eine Angriffswelle nach der anderen legte ihre Bombenteppiche über die Stadt. Minuten erschienen mir wie Stunden. Das Gedröhn der Bomber wollte nicht aufhören, das Heulen und Krachen der Bomben nahm kein Ende. Irre vor Angst verglich ich das Bombardement mit dem an der Front erlebten Artilleriefeuer. Ich wünschte mir Granaten statt Bomben, die sich gegen diese wie Spielzeug ausnahm. Grässlich das Geräusch, wenn Splitter die massiven Planken der Güterwagen durchschlugen. Wie von Riesenhand wurden Waggons beiseite geschleudert, nur wenige Meter von uns eine Dampflok aus dem Gleis gehoben, Schienen wie dünner Draht verbogen. Der uns schützende Waggon begann zu brennen. Wir robbten zum nächsten, um der Hitze zu entgehen und weiterhin Splitterschutz zu haben. Zum Staub kam jetzt der entsetzliche Brandgeruch und der Gestank des Pulvers, ohne Gasmaske kaum auszuhalten. Ich weiß nicht, wie lange wir dem wahnsinnigen Bombardement ausgesetzt waren. Auszug aus den unveröffentlichten Memoiren von Horst König
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